Der rote Prophet
um sich ihm dann von der Seite zu nähern. Dann machte er eine Schlaufe in ein Seil und warf es Measure zu. »Leg dir das um die Brust unter die Arme«, sagte der Soldat.
»Wofür?«
»Damit ich dich führen kann.«
»Den Teufel werde ich tun«, antwortete Measure. »Wenn ich gewußt hätte, daß Ihr versuchen würdet, mich an einem Seil mitten durch einen Fluß zu zerren, dann wäre ich auf dem trockenen Land geblieben und allein nach Hause gegangen.«
»Wenn du nicht in fünf Minuten dieses Seil um dich gelegt hast, werden die Jungs dort hinten dir den Kopf wegpusten.«
»Wovon redet Ihr überhaupt?« versetzte Measure. »Ich bin Measure Miller. Ich bin vor fast einer Woche zusammen mit meinen kleinen Bruder Alvin gefangengenommen worden und will gerade nach Hause zurück nach Vigor Church.«
»Ach, das ist aber eine hübsche Geschichte«, meinte der Soldat. Er holte das Seil ein, das inzwischen klitschenaß war, und warf es erneut. Diesmal traf es Measure im Gesicht. Measure griff danach, hielt es mit der Hand fest. Der Soldat zückte seinen Degen. »Fertigmachen zum Feuern, Jungs!« rief der Soldat. »Es ist tatsächlich dieser Überläufer!«
»Überläufer! Ich ...« Dann endlich merkte Measure, daß irgend etwas schrecklich schiefgelaufen war. Sie wußten, wer er war, und dennoch wollten sie ihn gefangennehmen.
Und mit drei Musketen und einem Degen konnten sie ihn wahrscheinlich auch recht leicht töten, wenn er versuchte davonzulaufen. Aber das war doch die US-Armee, nicht wahr? Wenn er erst einmal einen Offizier zu sprechen bekam, würde sich das alles schon bald aufklären. Also zog er sich das Seil über den Kopf und schob die Schlinge um seinen Brustkorb.
Es war nicht allzu schlimm, solange sie im Wasser waren; manchmal trieb er einfach weiter. Aber schon bald gingen sie wieder an Land und ließen ihn hinter sich herlaufen, während sie sich ihren Weg durch den Wald bahnten. Sie schlugen einen Bogen nach Osten, umgingen Vigor Church.
Measure versuchte etwas zu sagen, doch sie befahlen ihm zu schweigen. »Ich will dir was sagen – wir haben den Auftrag, Überläufer wie dich tot oder lebendig zurückzubringen. Ein Weißer, der gekleidet ist wie ein Roter – wir wissen genau, was du bist.«
Aus ihren Gesprächen konnte er einiges entnehmen. Sie waren im Auftrag von General Harrison auf einem Spähtrupp. Measure wurde ganz übel bei dem Gedanken, daß die Dinge sich so schlimm entwickelt hatten, daß sie diesen mit Branntwein handelnden Taugenichts in den Norden gerufen hatten. Und er war auch verdammt schnell zur Stelle gewesen.
Die Nacht verbrachten sie auf einer Lichtung. Sie machten so viel Lärm, daß es Measure schon wie ein Wunder erschien, daß sie am nächsten Morgen nicht von sämtlichen Roten im ganzen Land umringt werden.
Am nächsten Tag weigerte er sich geradeheraus, sich an einem Seil mitzerren zu lassen. »Ich bin fast nackt, ich habe keine Waffen, und ihr könnt mich jetzt entweder umbringen oder mich reiten lassen.« Und so saß er schließlich hinter einem der Soldaten auf dem Pferd und hielt die Arme um die Hüften des Mannes geschlungen. Bald erreichten sie ein Gebiet, in dem es Pfade und Wege gab, und kamen gut voran.
Kurz vor Mittag erreichten sie ein Armeelager. Es war keine besonders beeindruckende Armee, vielleicht hundert Uniformierte und zweihundert weitere, die gerade auf einem Exerzierplatz umhermarschierten. Measure wußte den Namen der Familie nicht mehr, die hier wohnte. Es waren neue Leute, die erst vor kurzem aus dem Gebiet um Carthage gekommen waren. Doch stellte sich heraus, daß es ohnehin keine Rolle spielte. General Harrison hatte ihr Haus zum Hauptquartier gemacht; die Späher führten ihn direkt zu ihm.
»Ah«, sagte Harrison. »Einer der Überläufer.«
»Ich bin kein Überläufer«, erwiderte Measure. »Den ganzen Weg hat man mich behandelt wie einen Gefangenen. Ich kann beschwören, daß die Roten mich besser behandelt haben als Eure weißen Soldaten.«
»Das überrascht mich nicht sonderlich«, versetzte Harrison. »Die haben Euch bestimmt richtig nett behandelt. Wo ist der andere Überläufer?«
»Welcher andere Überläufer? Meint Ihr etwa meinen Bruder Alvin? Ihr wißt, wer ich bin, und Ihr laßt mich doch nicht nach Hause?«
»Erst mal beantwortet Ihr meine Fragen, dann werde ich es mir schon überlegen, ob ich auch Eure beantworten will.«
»Mein Bruder Alvin ist nicht hier, und er kommt auch nicht. Und nach allem, was ich bisher
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