Der Rubin der Oger
Wortlos verscharrten die verbliebenen Oger die Toten im roten Sand der Wüste.
Die Verluste in den eigenen Reihen waren nicht leicht zu verkraften, doch die Enttäuschung, abermals auf einen überlegenen Gegner gestoßen zu sein, lastete noch schlimmer auf ihnen.
»Warum sie uns angegriffen?«, fragte Kruzmak, der neben Rator hertrottete.
»Sie nicht angegriffen, sie geflüchtet.«
»Flucht wovor?«
Rator wusste darauf keine Antwort. Er war ein Kämpfer, und es war ihm lieber, sich einem Schrecken zu stellen, als darüber zu grübeln, was der Schrecken eigentlich war und was er ihm alles antun konnte.
Über dem vor ihnen liegenden Gebirge entlud sich ein Gewitter. Gewaltige Blitze zuckten über den Nachthimmel und tauchten die Gipfel in gleißendes Licht. Der Donnerhall, der sich den Ogern entgegenwarf, kam der Stimme eines Gottes gleich. Windböen peitschten den feinen Sand durch die Luft und drohten den Ogern die Haut vom Körper zu ziehen. Dann wurde es still ...
Rator ließ den Trupp halten und horchte gebannt in die Nacht hinaus. Ein weit entferntes Grollen setzte ein. Zuerst dachte Rator, es sei der Klang des Donners, der noch nachhallte und nur langsam verebbte, doch das Geräusch lag nicht hinter, sondern vor ihnen, und es wurde nicht leiser, sondern lauter. Er verharrte, und sein Blick versuchte das fahle Mondlicht zu durchdringen. Dann sah er es. Was zuerst wie eine Front von Quellwolken aussah, die ihren Schatten über die Erde fallen ließen, entpuppte sich als Gebirge aus Wasser, mit tobender Gischt als Gipfel. Hundert Fuß und höher raste die Welle auf sie zu.
Es gab keinen Ausdruck dafür, den die Oger verstanden hätten. Daher behalf Rator sich mit etwas, das sie kannten.
»Lawine!«, brüllte er.
15
Springt!
Mogda hatte es nicht mehr weit bis zum Gipfel des Bergwalls. Erschöpft sah er sich um. Hundert Schritt weiter unten leisteten sich Cindiel, Barrasch und Finnegan gegenseitig Hilfestellung beim Erklimmen des steilen Aufstiegs.
»Mogda, warte auf uns«, rief Cindiel zu ihm hoch. »Es war nur ein kleines Beben. Du bringst uns alle unnötig in Gefahr.«
Er wusste, dass sie Unrecht hatte. Die Hüttenbauer lebten in ihren Städten, zurückgezogen von der Natur. Sie hatten zwar viel Wissen in Form von Büchern und Pergamenten zusammengetragen, doch fehlte ihnen oft das Verständnis für die einfachsten Dinge. Cindiel war eine Ausnahme, sie kannte allerhand Pflanzen und Tiere. Sie wusste, wie das Zusammenspiel der Elemente funktionierte, doch auch sie hatte dessen Folgen nur selten am eigenen Leib verspürt. Mogda hingegen war in der Natur groß geworden. Er wusste, was es bedeutete, Hunger zu leiden, zu frieren. Und er wusste, wie erbarmungslos die Naturgewalten waren. Ein Erdbeben konnte hier draußen den Tod bedeuten, und es war überlebenswichtig, frühzeitig zu erkennen, was vor sich ging.
Mogdas Kräfte schwanden langsam. Bis zum Fuß der Berge war er die ganze Zeit gelaufen, während seine Begleiter sich auf die Pferde verteilt hatten und bemüht waren, ihn im Dickicht des Tannenverlieses nicht aus den Augen zu verlieren. Mit letzter Kraft erklomm er den Gipfel der Gebirgskette und wandte seinen Blick hinunter zur unendlich scheinenden Weite der roten Wüste.
»Siehst du, es ist alles in Ordnung, nicht wahr?«, rief Cindiel zu ihm hinauf. »Ich habe doch gleich gesagt, dass es lediglich ein kleines Beben war. So etwas passiert hier oben öfter. Man muss nur aufpassen, dass man nicht von losen Gesteinsbrocken erschlagen wird. Deswegen ist es wichtig, nicht gleich danach in den Bergen herumzukraxeln.«
Mogda blieb ihr die Antwort schuldig. Er stand da, wie zur Säule erstarrt.
»Was ist denn los, Mogda? Sag doch was!«, rief Barrasch.
Die drei beeilten sich, um herauszufinden, was dem Oger die Sprache verschlug. In halsbrecherischen Manövern erklommen sie Felsen um Felsen, bis sie endlich den Gipfel erreichten. Cindiel war die Letzte, die ihren Blick ins Tal warf, da sie sich zuerst um Mogda kümmern wollte. Plötzlich merkte sie, dass Barrasch und Finnegan eine ähnlich rätselhafte Apathie wie Mogda zeigten. Was sie dann sah, ließ auch sie erstarren.
Es dauerte länger, als ein Oger brauchte, um satt zu werden, bis die vier sich wieder rühren konnten.
»Was im Namen der Götter ist hier geschehen?«, stammelte Cindiel.
Wortlos zeigte Mogda nach Nordwesten. Mitten im Bergwall klaffte eine tiefe Schlucht, wo sie einst zusammen mit den Zwergen gegen die Trolle der Meister
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