Der Rubin im Rauch
Rubin erzählt.
Vielleicht gibt's zwei Geheimnisse und nich bloß eins. Vielleicht
besteht da gar kein Zusammenhang."
„Und ob ein Zusammenhang besteht", sagte Sally. „Das bin ich."
„Und Mrs. Holland."
Es gab eine Pause.
„Ich muß ihn sprechen", sagte Sally.
„Das geht nich. Nich, solang Mrs. Holland ihn in den Fängen hat.
Übrigens -- ich hab vergessen: er hat 'n Bruder, der Pfarrer is. Heißt
Nicholas. Es sind Zwillinge."
„Pfarrer Nicholas Bedwell. Ob wir ihn wohl finden könnten?
Vielleicht könnte er seinen Bruder rauskriegen...", sagte Sally.
„Er ist opiumsüchtig", sagte Jim. „Und Adelaide sagt, daß er 'n
Horror vor Chinesen hat. Immer wenn er 'n Chinesen in seinen
Wahnvorstellungen sieht, fängt er an zu schreien."
Sie schwiegen eine Weile.
„Hätt ich bloß das Buch nicht verloren", sagte Sally schließlich.
„Das hast du doch nicht verloren. Sie hat's klauen lassen."
„Glaubst du wirklich? Aber es war ein Mann. Er ist in Chatham
zugestiegen."
„Warum sollte irgend jemand scharf auf so 'n olles, schäbiges Buch
sein, so ganz ohne Grund? Klar steckt sie da dahinter."
Sally blinzelte; warum war ihr dieser Zusammenhang nicht klar
geworden? Als Jim es jetzt ausgesprochen hatte, war es auch für sie
klar.
„Dann hat sie also das Buch. Jim, das macht mich noch verrückt!
Warum will sie es denn haben, um Himmels willen?"
„Du hast aber 'ne lange Leitung. Den Rubin will sie natürlich. Was
steht denn auf dem Fetzen, den er nich erwischt hat?"
Sie zeigte es ihm.
„Da haben wir's ja schon. ,Nimm ihn', steht da. Er hat ihn irgendwo
versteckt und läßt dich das Versteck wissen. Und wenn sie den Rubin
will, dann ist sie hinter dem Fetzen da her, da kannste Gift drauf
nehmen."
Am Abend darauf saßen drei Leute in der Küche in Hollands
Pension, in der ein schmutziger Eisenherd eine tropische Hitze
ausstrahlte. Eine der drei Personen war Adelaide, aber Adelaide zählte
nicht; sie saß unbeachtet in der Ecke. Mrs. Holland saß am Tisch und
blätterte in Major Marchbanks Buch. Die dritte Person war ein
Besucher, der in einem Sessel am Herd saß und abwechselnd einen
Schluck aus einem Becher Tee nahm und seine Braue abtupfte. Er trug
einen hellen, karierten Anzug. Einen braunen Bowler hatte er nach
hinten geschoben; in seiner Krawatte glitzerte eine Nadel.
Während Mrs. Holland ihre Zähne einpaßte, sagte sie: „Gute Arbeit
geleistet, Mr. Hopkins. Gut gemacht."
„War ganz einfach", sagte der Besucher bescheiden. „Sie ist
eingeschlafen, ich hab's ihr bloß vom Schoß zu nehmen brauchen."
„Prima. Wie war's mit 'nem ändern Job?"
„Jederzeit, Mrs. Holland. Immer zu Ihren Diensten."
„In Hoxton gibt's 'n Anwalt namens Blyth. Letzte Woche hat er
was für mich erledigt, aber 's is schief gegangen, weil er nich
aufgepaßt hat. Deswegen hab ich nach Kent müssen, um das wieder in
Ordnung zu bringen."
„So?" bemerkte der Mann mäßig interessiert. „Und dem Anwalt da
wollten Se gern 'n Denkzettel verpassen, was?"
„So ungefähr, Mr. Hopkins."
„Ich glaub, das könnt ich deichseln", meinte er behaglich und blies
auf den heißen Tee. „Komisch, das Buch da, häh?"
„Nicht für mich", antwortete Mrs. Holland. „Ich kenn die
Geschichte auswendig."
„Ach so?" sagte Mr. Hopkins vorsichtig.
„Aber für die junge Dame wär's interessant. Wenn sie das in die
Finger bekäm, wär's 'ne Katastrophe ersten Ranges. Dann könnt ich
meine ganzen Pläne aufgeben."
„Tatsächlich?"
„Deswegen muß sie einen Unfall haben."
Stille.
Er rutschte unbehaglich auf seinem Sessel hin und her.
„Also", sagte er schließlich, „da bin ich mir nicht so ganz sicher,
Mrs. Holland."
„Und ich bin mir nich so ganz sicher, ob Sie da überhaupt 'ne andre
Wahl haben, Mr. Hopkins", antwortete sie, während sie in dem Buch
blätterte. „Meine Güte, die Blätter sin vielleicht lose. Hoffentlich ham
Se keine nich verlorn."
„Ich versteh nich ganz, Mrs. Holland. In Bezug auf was hab ich
keine andre Wahl?"
Aber sie hörte nicht mehr zu. Ihre alten Augen hatten sich verengt;
sie las die letzte Seite des Buches, blätterte nochmals alles durch, las
nochmals, hielt das Buch hoch, schüttelte es und schleuderte es
schließlich fluchend auf den Boden. Mr. Hopkins wich nervös zurück.
„Was ist denn?" fragte er.
„Sie Arschloch. Sie Mistkerl. Sie ham die wichtigste Seite in dem
ganzen blöden Buch verloren!"
„Sie ham doch gesagt, sie wüßten alles auswendig, Ma'am?"
Sie warf ihm das Buch
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