Der Rubin im Rauch
sie sie zusammensetzte, aufs Bett neben ihn
legte und ein kleines Stück von einem braunem, gummiartigen
Klumpen im Schrank abschnitt.
„Legen Sie sich hin", befahl sie. „Da sind Sie schnell hinüber. Sie
müssen sich hinlegen, sonst stürzen Sie."
Er gehorchte dem kleinen Mädchen und legte sich matt auf die
Seite. Das kalte, graue Licht der Dämmerung, das mühsam durch das
schmutzige, winzige Fenster drang, gab der Szene den düsteren
Anstrich eines Stahlstichs.
Ein Insekt kroch träge über das schmierige Kissen, als Adelaide ein
brennendes Streichholz an das Stück Opium hielt. Sie bewegte die auf
eine Nadel gespießte Droge hin und her durch die Flamme, bis sie zu
blubbern begann und der Rauch nach außen quoll.
Bedwell saugte am Mundstück, Adelaide hielt das Opium über den
Pfeifenkopf, und der süße, berauschende Rauch wurde in die Pfeife
gesogen.
Als die Pfeife nicht mehr rauchte, zündete sie ein weiteres
Streichholz an und wiederholte den Vorgang. Sie haßte es. Sie haßte,
was es ihm antat, denn sie mußte glauben, daß sich hinter jedem
menschlichen Gesicht das Gesicht eines glotzenden, sabbernden,
hilflosen Idioten verbarg.
„Mehr", murmelte er.
„Es gibt nichts mehr", flüsterte sie.
„Ach, Adelaide", jammerte er, „mehr."
„Aber nur noch einmal."
Wieder zündete sie ein Streichholz an, wieder blubberte und rauchte
das Opium. Der Rauch quoll in den Pfeifenkopf, wie ein Fluß, der im
Boden versickert. Adelaide löschte das Streichholz und ließ es mit den
anderen auf den Boden fallen. Ein langer Seufzer entrang sich ihm.
Der dichte Qualm im Zimmer verursachte ihr Schwindelgefühle.
„Weißte, daß ich nich die Kraft hab, aufzustehn und zu gehn?"
fragte er.
„Nein, Sir", wisperte sie.
Wenn er im Opiumrausch war, geschah etwas Seltsames mit seiner
Stimme; sie verlor den rauhen Seemannston und klang kultiviert und
sogar sanft.
„Obwohl ich Tag und Nacht dran denke, oh, Adelaide... Die
,Sieben Wohltaten'! Nein, nein! Ihr Teufel -- Dämonen -- laßt mich in
Frieden - "
Er fing an zu toben. Adelaide setzte sich so weit wie möglich von
ihm weg, sie wagte nicht zu gehen aus Angst, Mrs. Holland könne sie
fragen, was der Herr gesagt habe. Andererseits hatte sie Angst zu
bleiben, denn seine Worte erfüllten sie mit Schrecken. ,Die sieben
Wohltaten' -- dieser Ausdruck war in letzter Zeit zweimal erwähnt
worden und jedesmal voller Angst.
Er brach mitten im Satz ab. Plötzlich veränderte sich sein
Gesichtsausdruck: er wurde leuchtend und vertrauensvoll.
„Lockhart", sagte er. „Ich erinnere mich jetzt. Adelaide, bist du
da?"
„Ja, Sir", flüsterte sie.
„Versuch, etwas für mich zu behalten -- ja?"
„Ja, Sir."
„Ein Mann namens Lockhart... hat mich gebeten, seine Tochter
ausfindig zu machen. Ein Mädchen namens Sally. Ich hab eine
Nachricht für sie. Sehr wichtig... Kannste sie finden für mich?"
„Weiß nich, Sir."
„London is groß. Vielleicht schaffste's nich."
„Ich könnt's versuchen, Sir."
„Braves Mädchen. Oh, guter Gott, was tu ich bloß?" fuhr er hilflos
fort. „Schau mich an. Schwach wie ein Baby... Was würd bloß mein
Bruder sagen?"
„Sie haben einen Bruder, Sir?"
Es war jetzt fast dunkel; durch den entstellenden Opiumnebel
wirkte sie wie eine Mutter am Bett ihres kranken Kindes. Sie langte
hinüber und tupfte ihm mit dem schmutzigen Laken das Gesicht ab,
und er ergriff dankbar ihre Hand.
„Ein feiner Mensch", murmelte er. „Mein Zwillingsbruder. Wir sind
eineiige Zwillinge. Unsre Körper sind gleich, aber sein Geist ist hell
und klar, während meiner böse und verkommen ist. Er ist Geistlicher.
Heißt Nicholas. Pfarrer Nicholas Bedwell... Hast du Geschwister?"
„Nein, Sir."
„Leben deine Eltern noch?"
„Mutter hab ich keine, aber 'n Vater. Er ist Werbeoffizier."
Das war eine Lüge. Adelaides Vater war sogar für ihre Mutter ein
Unbekannter gewesen, und diese war zwei Wochen nach der Geburt
verschwunden; aber Adelaide hatte einen Vater erfunden; sie entwarf
sich das Bild eines so hervorragenden und stattlichen Mannes, wie sie
in ihrem kümmerlichen Dasein nie eine n erlebt hatte. Einer dieser
Angeber -- einen flotten, kleinen Hut keck aufgesetzt und ein Glas in
der Hand
-- hatte ihr einmal zugezwinkert, als er mit seinen
Kameraden vor einer Kneipe stand und über einen rauhen Scherz laut
lachte. Den Scherz hatte sie nicht gehört. Nur das Bild prächtiger,
heroischer Männlichkeit, das plötzlich in ihr tristes Leben
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