Der Rubin im Rauch
einbrach
wie ein Sonnenstrahl, war in ihrem Gedächtnis haften geblieben. Sie
hatte sich eingebildet, daß so ein Vater seiner Tochter zublinzle.
„Feine Männer", murmelte Bedwell. „Alles feine Männer." Er
schloß die Augen.
„Schlafen Sie, Sir", flüsterte sie.
„Sag ihr nichts, Adelaide. Sag ihr nichts von -- was ich gesagt hab.
Sie ist 'ne böse Frau."
„Ja, Sir..."
Und dann begann er wieder zu toben: der Raum füllte sich mit
Geistern und chinesischen Dämonen, mit Folterszenen und
abstoßender Ekstase; scheußliche Abgründe taten sich auf. Adelaide
saß in der Dunkelheit, hielt seine Hand und dachte nach.
BOTSCHAFTEN
Seit Mr. Higgs' Tod war das Leben im Büro langweilig geworden.
Der Streit zwischen dem Portier und Jim, dem Botenjungen, war
abgeflaut, dem Portier fielen keine Verstecke mehr ein, und Jim waren
die Groschenromane ausgegangen. Er hatte an diesem Nachmittag
wirklich nichts Besseres zu tun, als Papierkügelchen mit einer
Gummischleuder auf das Porträt der Königin Victoria über dem
Kamin in der Portiersloge zu schnipsen.
Als Adelaide kam und an die Scheibe klopfte, nahm er zuerst keine
Notiz davon. Er war damit beschäftigt, seine Schießfertigkeit zu
vervollkommnen. Der alte Mann öffnete das Fenster und fragte: „Was
willste?"
„Miss Lockhart", flüsterte Adelaide.
Jim hörte es und schaute auf.
„Miss Lockhart?" sagte der Portier. „Bestimmt?"
Sie nickte.
„Was willste denn von ihr?" fragte Jim.
„Misch dich nich rein, du Esel", wies ihn der alte Mann zurecht.
Jim schnipste dem Portier eine Papierkugel an den Kopf und wich
dem leichten Schlag aus, der ihm zugedacht war. „Wenn de 'ne
Nachricht für Miss Lockhart hast, sag's mir. Komm, wir gehn hier 'n
bißchen weg."
Er ging mit Adelaide an die Treppe, außer Hörweite des Portiers.
„Wie heißt du denn?" fragte er.
„Adelaide."
„Und was willste von Miss Lockhart?"
„Weiß nich."
„Wer hat dich denn geschickt?"
„Ein Herr."
Er näherte sein Gesicht dem ihren, um sie besser zu verstehen, und
nahm den muffigen Geruch von Hollands Pension wahr, der in ihren
Kleidern hing. Aber das machte ihm nichts aus; es war ihm etwas
Wichtiges eingefallen.
„Hast du je von den sogenannten ,Sieben Wohltaten' gehört?" In
den letzten zwei Wochen hatte er das alle möglichen Leute gefragt --
außer Mr. Selby; und er hatte immer dieselbe verneinende Antwort
bekommen.
Aber sie hatte davon gehört, und sie hatte Angst. Sie schien in
ihrem Mantel zusammenzuschrumpfen, und ihre Augen wurden noch
dunkler.
„Warum?" flüsterte sie.
„Du hast davon gehört, oder?"
Sie nickte.
„Also, was bedeutet es? Es ist wichtig."
„Weiß nich."
„Wo haste davon gehört?"
Sie verzog den Mund und schaute weg. Zwei Büroschreiber kamen
oben an der Treppe aus ihrem Büro und sahen sie.
„Schau mal den kleinen Jim an, der geht auf Freiersfüßen", sagte
der eine.
„Wie heißt denn dein Schatz, Jim?" rief der andere.
Jim schaute hinauf und ließ einen Schwall von Schimpfworten vom
Stapel, der nicht von schlechten Eltern war. Er hatte keinen Respekt
vor Büroschreibern, für ihn waren sie eine minderwertige Gattung
Mensch.
„Mensch, hör dir das mal an", sagte der erste Schreiber, als Jim eine
Pause machte, um Luft zu holen. „Das nenn ich redegewandt!"
„Schon toll, wie er da loslegt", sagte der andere. „Hat was von 'ner
unmenschlichen Leidenschaft an sich."
„Genau: unmenschlich", bestätigte der erste.
„Halt die Klappe, Skidmore", rief Jim. „Pure Zeitverschwendung,
dir zuzuhören. Los, komm nach draußen", sagte er zu Adelaide.
Unter dem höhnischen Pfeifkonzert und Gejohle der beiden
Büroschreiber nahm er Adelaides Hand und schob sie unsanft den
Korridor entlang und auf die Straße. „Mach dir nix draus", sagte er.
„Hör mal, du mußt mir von den ,Sieben Wohltaten' berichten. Hier
gibt's 'n Mann, der deshalb gestorben is."
Er erzählte ihr, was passiert war. Sie schaute nicht auf, aber ihre
Augen weiteten sich.
„Ich muß Miss Lockhart suchen, das will er", sagte sie, als er fertig
war. „Bloß Mrs. Holland darf ich nix sagen, die bringt mich sonst
um."
„Also schieß los, was hat er gesagt?"
Stockend berichtete sie nach und nach, denn sie hatte nicht Jims
Redegewandtheit, und sie war so wenig daran gewöhnt, daß man ihr
zuhörte. Deshalb wußte sie kaum, wie laut sie sprechen sollte. Jim
mußte darauf bestehen, daß sie das meiste wiederho lte.
„Also gut", meinte er schließlich. „Ich hol' Miss
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