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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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in
Weinen aus. Rosa schlang die Arme um sie und half ihr sachte, sich
hinzusetzen.
„Was ist denn, Liebes? Was ist los?"
Ihre kalten Hände taten Sallys Wangen wohl. Kurz darauf schüttelte
Sally den Kopf und setzte sich aufrecht hin und wischte entschlossen
die Tränen weg.
„Ich muß diesen Rubin finden. Das ist der einzige Ausweg.
Trembler, hat Frederick rausgekriegt, wo er ist?"
„Und nicht bloß das, Miss."
Er ließ etwas auf den Tisch fallen -- etwas Schweres, das in ein
Taschentuch eingewickelt war, etwas, das durch das Tuch
schimmerte.
„Ich glaub's nicht", sagte Rosa.
„Letzte Woche is er hingegangen und hat ihn gefunden", sagte
Trembler. „Er hat nix sagen wollen, bis Miss Sally ihn gefragt hätt."
Sally griff danach und machte das Taschentuch auf. In der Mitte
dieser zerknitterten, weißen Herrlichkeit lag ein Meer von Blut -- ein
Stein von der Größe eines halben Daumens, in dem alles Rot der Welt
enthalten zu sein schien. Er schien das Licht der Lampe in der Nähe
auf sich zu ziehen und strahlender wiederzugeben und glutvoller; und
im Innern war diese schimmernde, berauschende Landschaft aus
Höhlen, Schluchten und Abgründen, die Major Marchbanks so
fasziniert hatte. Sally spürte, wie sich ihre Gedanken umnebelten und
ihre Augenlider schwer wurden... dann schloß sie die Hand um den
Stein. Er war hart und klein und kalt. Sie stand auf.
„Trembler", sagte sie. „Nehmen Sie eine Droschke und fahren Sie
zu Hangmans Kai. Sagen Sie Mrs. Holland, daß ich den Rubin habe
und daß ich sie in einer Stunde mitten auf der London Bridge treffe.
Das ist alles."
„Aber - "
„Ich geb Ihnen das Geld. Tun Sie's, Trembler. Sie -- Sie sind
eingeschlafen, als ich meinen Alptraum hatte, bitte tun Sie mir diesen
Gefallen."
Ihr Gesicht zuckte, als sie dies sagte, als würde sie ihn nur ungern
an sein Versagen erinnern. Er senkte den Kopf und schlüpfte in seinen
Mantel. Rosa sprang auf.
„Sally -- du kannst doch nicht! Das darfst du nicht! Was willst du
denn tun?"
„Ich kann es jetzt nicht erklären, Rosa. Aber bald. Und du wirst
einsehen, daß ich mich mit ihr treffen muß."
„Aber - "
„Bitte, Rosa, vertrau mir. Das ist das Wichtigste überhaupt -- das
Allerwichtigste -- das kannst du jetzt nicht verstehen... ich hab's selbst
nicht verstanden, bevor..."
Sie zeigte auf die Opiumasche und schauderte.
„Laß mich wenigstens mitkommen", sagte Rosa. „Du kannst nicht
allein gehen. Erzähl's mir unterwegs."
„Nein. Ich will sie alleine treffen. Trembler, Sie sollen nicht dort
hingehen. Sie nur hinschicken."
Er schaute schuldbewußt auf, nickte und ging dann.
Rosa fuhr fort: „Ich laß dich allein auf die Brücke gehen, aber ich
komm bis dorthin mit. Ich glaub, du bist verrückt, Sally."
„Du weißt nicht - " begann Sally, schüttelte dann aber den Kopf.
„Also gut. Danke. Aber versprich mir, daß du mich sie alleine treffen
läßt. Du mußt versprechen, daß du dich nicht einmischst, was auch
passiert."
Rosa nickte. „Also gut", sagte sie. „Ich verhungre. Ich eß unterwegs
'n belegtes Brot."
Sie schnitt eine Scheibe Brot von einem Laib, der auf dem Schrank
lag, und bestrich sie dick mit Butter und Marmelade.
„Ich bin gegen alles gewappnet", sagte sie. „Und naß bis auf die
Knochen. Du bist verrückt. Du bist toll. Eine Irre. Los, komm, wir
haben ganz schön weit zu gehen."
    Sally hörte die Turmuhren die halbe Stunde schlagen: halb zwei.
Sie ging langsam vor und zurück und beachtete gelegentliche
Vorübergehende und die noch rareren Droschken nicht. Einmal hielt
ein Polizist an und fragte, ob alles in Ordnung sei, er meinte wohl, sie
gehöre auch zu diesen armen Würmern, die ins Wasser gehen, um all
ihrem Kummer zu entgehen; aber sie lächelte und versicherte ihm, daß
alles in Ordnung sei, und er marschierte weiter.
    Eine Viertelstunde verging. Eine Droschke fuhr an der Haltestelle
am nördlichen Ende der Brücke vor, aber es stieg niemand aus. Der
Kutscher wickelte sich fest in seinen Mantel ein und döste wartend
vor sich hin. Der Fluß floß unter ihr hin, sie beobachtete die
hereinströmende Flut, die die Boote hob, die an beiden Ufern
angebunden waren, die Ankerlichter leuchteten. Dann sah sie eine
Polizeibarkasse, die von der Southwark Bridge herunterfuhr. Sie
beobachtete, wie sie heranfuhr und wieder zu ihren Füßen
verschwand. Sally ging auf die andere Seite, um sie da herausfahren
zu sehen und dann langsam an der dunklen Masse des Towers vorbei

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