Der Rubin im Rauch
Tat
mich nicht wundern, wenn's wieder Regen gab."
„Mich auch nicht", sagte Mrs. Holland.
„An Ihrer Stelle würd ich so schnell wie möglich heimgehn. Ich war
auch nicht draußen, wenn ich nicht müßte. Na ja, mach wieder meine
Runde."
Er tippte mit der Hand an den Helm und ging weiter.
„Erzählen Sie weiter", sagte Sally.
„Marchbanks holt also das Kind -- das bist du -- aus der Wiege und
gibt es Lockhart. Er hat bloß an das Opium und seine Schulden
gedacht. Und dann hat er den Rubin eingesteckt -- das ist alles."
„Nein, das stimmt nicht. Was hat Hauptmann Lockharts Frau dazu
gesagt?"
„Seine Frau? Hat nie eine gehabt. Er war Junggeselle."
Und damit war Sallys Mutter ausgelöscht. Mit einem Schlag
weggewischt: das war fast die schlimmste Enttäuschung, daß diese
wundervolle Frau nie existiert haben sollte.
Sally sagte zitternd: „Aber ich hab 'ne Wunde an meinem Arm.
Eine Kugel - "
„Das war keine Kugel; das war 'n Messer. Dasselbe Messer, mit
dem der Maharadschah getötet wurde, verdammt soll er sein. Sie
hätten dich auch getötet, wenn sie nicht gestört worden wären."
Sally wurde fast schlecht.
„Also weiter. Was ist mit Ihnen? Was haben Sie mit dem Ganzen zu
tun? Vergessen Sie nicht, ich weiß so manches, und wenn Sie nicht
die Wahrheit sagen - "
Sie griff nach einem Zipfel des Taschentuchs. Es war eine Lüge: Sie
hatte keine Ahnung, wie Mrs. Holland in die Sache verwickelt war,
aber Sally wußte, daß sie die Wahrheit erfahren würde, da die alte
Frau nach Luft schnappte, als Sally nach dem Rubin langte.
„Es war mein Mann", sagte sie heiser. „Horatio. Er war Soldat im
Regiment, und er hat Wind von der Sache bekommen."
„Wie?" fragte Sally und schob den Stein näher an den Rand.
„Er war dort unten", sagte Mrs. Holland schnell, die vor lauter
Erregung ihre Hände knetete. „Er hat's gesehen und gehört. Und
später zu Hause - "
„Sie haben ihn erpreßt. Major Marchbanks, meinen richtigen Vater.
Sie haben ihm alles weggenommen, oder?"
„Er hat sich geschämt. Unheimlich hat er sich geschämt. Er hat nich
wollen, daß irgend jemand erfährt, was er gemacht hat. Sein eigenes
Kind um einen Edelstein verkaufen? Furchtbar."
„Aber warum haben Sie meinen -- Hauptmann Lockhart gehaßt?
Was hat er Ihnen angetan? Warum haben Sie mich umbringen
wollen?"
Mrs. Holland riß sich vom Anblick des Rubins los.
„Er hat meinen Horatio zu einem einfachen Soldaten degradiert",
sagte sie. „Er war Unteroffizier gewesen. Ich war stolz darauf. Und
dann wieder zum einfachen Soldaten gemacht zu werden -- das war
grausam."
Ihre Stimme bebte, als sie diese Ungerechtigkeit erwähnte.
„Aber warum behaupten Sie, daß der Rubin Ihnen gehört? Wenn
der Maharadschah ihn Hauptmann Lockhart gegeben hat und der ihn
weiter an Major Marchbanks gab, welches Recht haben Sie dann?"
„Ich hab von allen am meisten Recht. Er hat ihn mir
höchstpersönlich zwanzig Jahre zuvor versprochen, der verlogene
Bastard. Er hat mir's versprochen."
„Wer? Mein Vater?"
„Nein -- der Maharadschah!"
„Was? Warum? Wieso denn?"
„Er war in mich verliebt."
Sally lachte. Der Gedanke war absurd; die alte Frau hatte das
erfunden.
Aber Mrs. Holland drohte wütend mit der Faust und zischte: „Es ist
wahr! Ich hab mit dir 'n Handel gemacht, Missy, so wahr mir Gott
helfe, die Wahrheit gegen den Rubin, und das ist die Wahrheit, bei
Gott. Du siehst mich jetzt und denkst, daß ich alt und häßlich bin, aber
zwanzig Jahre vor der Meuterei -- ehe ich geheiratet hab -- da war ich
das schönste Mädchen in ganz Nordindien. Die hübsche Molly
Edwards hat man mich genannt. Mein Vater war der Hufschmied der
Kompanie in Agrapur -- nur ein bescheidener Zivilist, aber all die
Offiziere sind gekommen, um ihm ihre Aufwartung zu machen, und
mir ham sie schöne Augen gemacht -- und nicht bloß die Offiziere.
Der Maharadschah persönlich hat sich in mich verliebt, verflucht soll
er sein. Du weißt, was er wollte... er war liebestoll, und ich hab ihm
'n Korb gegeben -- meine dunklen Locken hab ich geschüttelt... Du
hältst dich für hübsch; aber du bist 'n blasses Mauerblümchen gegen
mich als junges Mädchen. Nichts bist du dagegen. Kein Vergleich mit
mir. Der Maharadschah hat mir also den Rubin versprochen. Und da
hab ich nachgegeben. Und dann hat er gelacht und mich aus dem
Palast rausgeworfen, und den Rubin hab ich bis zu der Nacht in den
Kellern der Residenz nicht wiedergesehn - "
„Dann waren Sie es, die
Weitere Kostenlose Bücher