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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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an, und irgendwo is 'n Nachtwächter."
Sie gingen durch eine Reihe von Räumen und Durchgängen und
hielten ab und zu an, um auf Schritte zu horchen, hörten aber nichts.
Schließlich kamen sie in einen Keller, in dessen einer Ecke sich das
Ende einer Rutsche befand, auf der offensichtlich Knochen, Hörner
und Hufe hinunterbefördert wurden: sie war schmierig und ranzig vor
Fett und vor getrocknetem Blut.
„Wie solln wir denn da raufkommen?" fragte Jim.
„Gefällt's dir nich? Is doch hübsch", sagte Paddy.
Er gab Adelaide die Kerze und zeigte ihnen, wie sie die Rutsche
hinaufklettern müßten, indem sie sich an die Seitenwände stemmten.
Jim nahm die Kerze und schob Adelaide hinauf, ohne auf ihre Proteste
zu achten, und kurz darauf standen sie oben im Regen. Sie befanden
sich in einem Hof mit Kopfsteinpflaster, der von einem Drahtzaun
umgeben war und auf eine Gasse hinter einem Wirtshaus führte.
Paddy ging auf Zehenspitzen zu dem Drahtzaun und spähte durch.
„Reine Luft", sagte er.
Für ihn schien es keine Hindernisse zu geben. Der Drahtzaun sah
massiv und fest aus, aber er kannte eine Stelle, wo der Zaun sich von
einem Pfosten gelöst hatte und zur Seite aufgeklappt werden konnte.
Paddy hielt ihn für die anderen beiden auf, und sie stiegen schnell
durch.
„Der Besitzer da kauft unsre Ratten, die wir fangen. Wir müssen
jetzt über Wapping Wall, und dann sind wir am Fluß, 's is nur 'n
kurzes Stück."
Wapping Wall war eine Straße, keine Mauer, und war rasch
überquert; und fast genau ihnen gegenüber war die King James
Treppe. Jim konnte ein Gewirr von Masten und Takelwerk und
schimmerndes Wasser sehen.
„Da unten können wir 'n Kahn kriegen", sagte Paddy. „Ganz
einfach. Könnt nach Hause rudern. Ihr geht runter -- und ich paß hier
oben auf."
Jim und Adelaide gingen die dunkle Gasse zwischen den Gebäuden
hinunter und gelangten auf einen engen kleinen Kai. Unter ihnen
lagen Schiffe auf der Seite im Schlick; sie waren durch Seile mit
Pfosten auf dem Kai verbunden, und die Treppen führten direkt ans
Ufer.
„Wohin, Paddy?" fragte Jim, drehte sich um und erstarrte.
Mrs. Holland stand in der Tür. Paddy stand neben ihr. Jim legte die
Arme um Adelaide. Seine Gedanken jagten sich. Er brachte nur ein
einziges Wort heraus, und das sagte er zu Paddy.
„Warum?"
„Geld, Kamerad", kam die Antwort. „Muß leben."
„Gute Arbeit geleistet", sagte Mrs. Holland.
„Ich krieg dich schon noch, und dann kannste was erleben", sagte
Jim.
„Meinetwegen", sagte Paddy, steckte die Münze ein, die Mrs.
Holland ihm gab und verschwand.
„So, so", sagte Mrs. Holland. „Hab ich dich, du kleines Aas. Jetzt
kannste nich mehr wegrennen, weil Mr. Berry da unten an der Treppe
steht, und der macht dich zu Hackfleisch. Der dreht auch Küken den
Kopf ab, damit er nich aus der Übung kommt. Die rennen noch fünf
Minuten lang ohne Kopf rum. Ich hab 'ne kleine Wette mit ihm
gemacht, wie lang du noch rumrennen tatst, und er is ganz scharf
drauf zu gewinnen, ich würd also nich runtergehn an deiner Stelle. Du
sitzt in der Falle, Adelaide. Ich hab dich."
Jim spürte, wie das Kind sich immer wieder krampfhaft
zusammenkrümmte in seinen Armen.
„Warum sin Se denn so scharf auf sie?" fragte er, und dann
schauderte ihn, denn Mrs. Holland schaute ihm zum ersten Mal direkt
in die Augen, und ihm wurde klar, daß sie wirklich fähig wäre, einem
Kind den Kopf abzutrennen, um zu sehen, ob es noch rumrennen
würde. Sie war zu allem fähig.
„Ich will sie fürs Wegrennen strafen. Und dann will ich 'ne ganze
Menge von ihr wissen. Ja, kommen Se nur rauf, Mr. Berry."
Jim drehte sich um und sah den großen Mann die Treppen
heraufkommen. Das schwache Licht beleuchtete sein Gesicht nicht, so
daß er überhaupt keines zu haben, sondern die unförmige Bosheit in
Person zu sein schien.
Adelaide preßte sich an Jim, und er schaute sich verzweifelt nach
einem Fluchtweg um, aber es gab keinen.
„Sie wollen doch Miss Lockhart und nicht Adelaide", sagte er. „Sie
wollen doch den Rubin, oder? Adelaide weiß ganz bestimmt nicht, wo
er ist, verflucht noch mal. Lassen Sie sie gehn."
Das einzige Licht, das das schlammige Ufer erhellte, kam von
einem weit entfernten Fenster; aber eine Sekunde lang hatte es den
Anschein, als gebe es noch ein Licht, Mrs. Hollands Augen blitzten
auf, als sie an Jim vorbei Mr. Berry anschaute. Jim drehte sich um und
sah, wie der große Mann den Stock schwang. Er schob Adelaide
hinter

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