Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
den umliegenden Dörfern in die Stadt gebracht und die Tore des äußeren Verteidigungswalles geschlossen. Glücklicherweise hatte Amris die Angreifer frühzeitig entdeckt und Alarm geschlagen, sodass die Soldaten sich rüsten und alle Verteidigungsmaßnahmen treffen konnten. Auf den Mauern waren schwere Katapulte in Stellung gebracht worden, riesige Bottiche mit heißem Pech und Öl siedeten auf den Feuerstellen, in allen Schießscharten saßen Bogen- und Armbrustschützen. Man hatte die Stadttore von innen mit Eisenstangen und wuchtigen Querbalken verstärkt und vollbeladene Wagen davorgestellt. Dahinter warteten Krieger und Bauern mit Sensen und Heugabeln, die sich den Gredows entgegenstellen würden, falls sie den ersten Ring der Stadtmauer durchbrachen.
Nach Amris' Dafürhalten befanden sich viel zu wenige Soldaten in der Stadt – Achests Krieger würden sie gnadenlos niedermetzeln. Einzig die Konstruktion der Festung mochte eine schnelle Niederlage verhindern. Sobald die Angreifer den ersten Mauerring überwunden hätten, würden die Verteidigersich hinter das schützende Tor des zweiten Mauerrings zurückziehen, der den Sturm der Gredows erneut aufhalten würde. Es konnte lange dauern, bis die Mordknechte den sechsten und gleichzeitig letzten Wall überwinden und den Turm von Yridion und die Gebäude des Dan-Ordens einnehmen konnten. Sollten sie allerdings tatsächlich so weit vordringen, wäre die wichtigste Bastion der Dan gefallen.
Amris konnte nur hoffen, dass es nicht so weit kam. Gehetzt rannte er hin und her, gab Befehle seiner Hauptleute an andere Soldaten weiter und leitete sie zu ihrer Position in der Kampflinie. Als er einen Blick hinaus aufs Meer warf, sah er, dass die Dronth-Brecher bereits direkt auf das schwere Eisentor zuhielten, das die Einfahrt ins Hafenbecken versperrte. Er hielt den Atem an.
Der dreifache Rammsporn des ersten Schiffs bohrte sich kreischend in das Metall des Tores und drückte es ein wie einen Zaun aus dünnen Brettern. Die Kriegsschiffe brachen ins Hafenbecken; sie hatten die Segel gerefft und wurden durch die Kraft hunderter von Rudern vorwärtsbewegt. Mit geradezu höhnischer Langsamkeit brachten sie sich in einem Halbkreis in Stellung.
Währenddessen arbeiteten die Verteidiger auf den Wehrmauern fieberhaft daran, ihre eigenen Geschütze auszurichten, aber die Entfernung war zu groß. Die Balliste und Schleudern, die ihnen auf der Festung zur Verfügung standen, hatten weder die Reichweite noch die Durchschlagskraft, um den Dronth-Brechern Schaden zuzufügen.
Hilflos mussten die Soldaten in Meledin mit ansehen, wie die Gredows schwere Felsbrocken mit in Öl getauchtem Segeltuch umwickelten, auf die Schleudern an Deck hievten und sie mit Fackeln entzündeten.
»Geht in Deckung!«, erscholl der Ruf eines der Befehlshaber der Wachen. »Sie werden Brandgeschosse abfeuern!«
Kaum hatte er den Satz beendet, ertönte ein lautes Zischen, und ein Regen aus feurigen Kugeln ging auf Meledin nieder. Mit lautem Krachen schlugen sie in den äußersten Mauerring ein und brachen große Stücke heraus. Einer der brennenden Steine fegte knapp über Amris' Kopf hinweg und zertrümmerte einen kleinen Wachturm hinter ihm. Er machte einen Satz zur Seite, Schutt und Asche regneten auf ihn und ließen ihn husten. Taumelnd wich er zurück und stieß mit Soldaten aus seiner Einheit zusammen, die schreiend weiterliefen. Überall in Meledin schienen Chaos und Tumult ausgebrochen zu sein, Flammen loderten sogar in den oberen Stadtbezirken, die man für besonders sicher erachtet hatte. Als abermals Geschosse von den Dronth-Brechern heranrauschten, wurde Amris klar: Seine erste Schlacht – die Schlacht um Meledin – konnte allzu leicht schon seine letzte sein.
44
Die Urthuk verließ die Bucht von Leremonth in den frühen Morgenstunden eines kalten, sonnendurchfluteten Tages und segelte an der Küste Gonduns entlang gen Osten zum vereinbarten Sammelpunkt. Von den ursprünglich zehn geplanten Kriegsschiffen würden allein die Trasé und eine Fregatte dort eintreffen und den Dronth-Brecher nach Nagatha begleiten. Der Rest der Flotte segelte in die entgegengesetzte Richtung, um die Völker Algarads vor den Schergen der Finsternis zu beschützen.
Tenan stand an der Reling und blickte hinüber zu den vorüberziehenden Klippen der Steilküste, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Mit Besorgnis dachte er daran, wie viele Männer die Streitmacht der Dan verloren hatte, und er konnte kaum glauben, dass
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