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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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und wies auf den Eingang der Kabine. »Und nicht, um sie dir zu öffnen, wenn du verstehst, was ich meine! Wir bleiben hier nicht lange, ein paar Tage, dann geht’s zurück nach Kanton. Der Mistkerl braucht nicht mal hierzubleiben, um dich zu bewachen. Wenn er dir einen Eimer Wasser und ein bisschen Essen reinstellt, überlebst du schon. Und prompt macht er weiteren Profit auf der Rückfahrt ...«
    »Aber ich ... die Vereinbarung ...« Um Gloria drehte sich alles.
    Der junge Heizer verdrehte die Augen. »Du willst doch nicht behaupten, dass das hier Teil einer ›Vereinbarung‹ war, oder? Seaton hat dich gekauft, und er wird das Beste aus seinem Geld machen. Zumal eine tote Hure schnell über Bord geworfen ist. Wenn sie dich dagegen in Darwin schnappen, und du erzählst ihnen, wie du hergekommen bist ... also, wie gesagt: Versuch, hier möglichst schnell rauszukommen. Auch auf die Gefahr hin, dem Hafenmeister in die Arme zu laufen ...«
    Gloria schaffte es nicht einmal, dem Mann für seine Warnungen zu danken. Ihre Gedanken überschlugen sich, als er hinausging und zwei chinesischen Einwanderern Platz machte, die zum Glück keine Sonderwünsche hatten und auch kein Wort Englisch sprachen. Gloria ließ ihre Lust über sich ergehen und versuchte, eine Art Plan zu schmieden. Der Heizer hatte Recht: Es war unwahrscheinlich, dass der Steward sie freiwillig gehen ließe. Aber sie hatte das alles auch nicht auf sich genommen, um sich von den Behörden erwischen zu lassen und mit Schimpf und Schande zu ihren Eltern zurückgeschickt zu werden. Gut, es war möglich, dass man sie nach Neuseeland zu ihren Verwandten schickte. Das lag näher und war für die Australier vielleicht einfacher zu organisieren. Vielleicht aber auch nicht. Und selbst wenn sie Glück hatte: Grandma Gwyn würde erfahren, was sie auf dem Schiff getan hatte. Und das durfte nicht sein. Niemand durfte es erfahren! Eher würde sie sterben.
    In den Kajüten um sie her herrschte Aufbruchstimmung. Gloria schalt sich dafür, das nicht eher bemerkt zu haben. Beinahe hätte sie in Agonie abgewartet, bis die Falle hinter ihr zuschlug. Doch an diesem Abend gab es kaum Freier. Verständlich eigentlich. Sie hatten mit dem Anlegemanöver zu tun und keinen Grund mehr, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen: Wozu die dreckige Schiffshure aufsuchen, wenn am nächsten Tag das Rotlichtviertel von Darwin wartete? Wenn Gloria Pech hatte, würde der Steward sein Privatbordell noch vor Mitternacht schließen.
    Sie musste sofort raus!
    Als die beiden Asiaten fertig waren, zwang sie sich aufzustehen und ihre wenigen Sachen zu einem Bündel zusammenzuschnüren. Gloria vertauschte ihr verlaustes, zerrissenes Kleid wieder mit dem Kostüm des Schiffsjungen Jack. Die Hosen und das Hemd erschienen ihr schwer, und sie hoffte, darin schwimmen zu können. Aber eine andere Möglichkeit gab es nicht: Sie würde es bis an Land schaffen oder ertrinken.
    Gloria schleppte sich durch die Gänge, in denen die Einwanderer ihre Habseligkeiten ordneten. Wieder ließ man sie kommentarlos durch. Hoffentlich kommt keiner der Männer auf die Idee, den Steward zu benachrichtigen!, fuhr ihr durch den Kopf. Aber dann beruhigte sie sich. Die kleinen gelben Männer wagten es nicht einmal, dem vermeintlichen Schiffsjungen auch nur ins Gesicht zu sehen. Gut möglich, dass sie Gloria nicht erkannten. Soweit sie es einschätzte, waren auch kaum Freier darunter. Die Asiaten, die der Steward zu ihr gebracht hatte, waren wahrscheinlich aus der Zweiten Klasse heruntergestiegen. Die Zwischendeckpassagiere, die ärmsten der Armen, hatten sich den Besuch bei ihr kaum leisten können.
    An Deck schlug ihr kühle Luft entgegen. Natürlich, auf dieser Hälfte der Erde war Winter. Andererseits befand sie sich im Norden Australiens; es herrschte tropisches Klima. So kalt konnte es also gar nicht sein! Gloria atmete tief durch. Tatsächlich gewöhnte sie sich langsam an die Temperaturen, die, wie sie schätzte, um zwanzig Grad lagen. Nach der stickigen Hitze und der verbrauchten Luft unter Deck schien es zwar frisch, aber ideal zum Schwimmen ...
    Gloria nahm sich zusammen. Sie schleppte sich im Schatten der Aufbauten und Rettungsboote über das Deck. Ein Rettungsboot wäre auch eine Möglichkeit, überlegte Gloria ... aber nein, sie würde es nie allein schaffen, einen solchen Kahn über Bord zu hieven. Von dem dabei entstehenden Lärm ganz abgesehen. Gloria warf einen Blick über die Reling. Das Meer lag tief unter ihr, aber

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