Der Ruf der Kiwis
Kojen, übereinander angeordnet an den Wänden. Bislang war allerdings keine belegt. Der Steward wies auf ein paar zusammengefaltete Decken.
»Am besten machst du dein Bett auf dem Boden. Damit die Kerle sich nicht den Kopf stoßen, wennste sie bedienst ...«
Gloria blickte ihren neuen Herrn zweifelnd an. »Soll ich denn hier allein wohnen? Kommt sonst keiner mehr?«
Sie wagte das kaum zu hoffen, hatte sie doch angenommen, das Bett »nach der Arbeit« mit dem Steward teilen zu müssen.
»Wer soll denn noch kommen?«, fragte der Mann. Dann grinste er. »Aber sei unbesorgt, wir lassen keine Einsamkeit aufkommen. Hör zu, ich werde mich jetzt um das Chaos da draußen kümmern. Die Kerle müssen gleich lernen, dass hier Disziplin herrscht. Und du machst dich vorerst unsichtbar, kann schließlich sein, dass sich doch mal einer von der Mannschaft hier runter verläuft. Wenn das Schiff erst fährt und die Kerle ihren ersten Katzenjammer kriegen, sehen wir weiter. Mach dich schon mal hübsch für mich ...«
Er zwickte Gloria zum Abschied in die Wange und verschwand im Gang. Gloria konnte ihr Glück kaum fassen. Eine eigene Kabine! Keine stinkenden Männerkörper mehr bei Nacht, kein Schnarchen ... vielleicht konnte sie sich einmal unbeobachtet ausziehen und zumindest flüchtig waschen.
Sie breitete die Decken auf dem Boden aus, rollte sich unter einer davon zusammen und schlief, erleichtert und glücklich. Wenn sie aufwachte, würde sie auf dem Weg nach Australien sein, fast schon zu Hause ...
Doch als sie erwachte, brach die Hölle los.
Der Steward fand keinen Gefallen daran, eine Frau auf normale Weise zu besitzen. Schon in der ersten Nacht an Bord ließ er Gloria am eigenen Leibe erfahren, was Jenny als »andere Spielarten der Liebe« bezeichnet hatte.
»Machen wir alle nicht gerne«, hatte das blonde Freudenmädchen bemerkt. »Aber Nein sagen kann sich kaum eine leisten. Besteh aber auf einem Aufpreis, auch wenn sie dir sagen, die Susie von nebenan machte das umsonst. Wir halten da zusammen – zum Normalpreis hat das keine im Angebot ...«
Gloria wurde nicht gefragt. Aber im Stillen dankte sie Jenny für die Aufklärung. So wusste sie, was auf sie zukam, und ertrug es stoisch. Sie versuchte, den Schmerz zu ignorieren und an etwas anderes zu denken, während der Mann sich an ihr abmühte. Irgendwann gelang es ihr, sich in den Scherschuppen von Kiward Station zu versetzen. Das Blöken der Schafe übertönte das Gemurmel der Chinesen von draußen. Der durchdringende Lanolingeruch der Wolle überdeckte den Schweißgestank des Stewards, während Gloria die Schafe zählte, mit denen die Scherer fertig waren. Mit gemischten Gefühlen dachte sie an die Schur. Früher hatte sie keinen Gedanken an die Angst der Tiere verschwendet, die brutal auf den Rücken geworfen und rasch, aber nicht gerade liebevoll ihrer Wolle beraubt wurden. Jetzt, hilflos von diesem Fremden auf den Boden der Kabine gepresst, fühlte Gloria sich den Tieren mehr verbunden als den Scherern.
»Braves Mädchen«, lobte der Steward, als er endlich von ihr abließ. »Der Kerl in Kanton hatte Recht. Du weißt nicht viel, aber du bist willig. Schlaf dich jetzt aus, heute Nacht haben alle mit sich selbst zu tun. Morgen früh gehst du an die Arbeit ...«
»Was soll ich denn machen?«, fragte Gloria verwirrt. Es hatte schließlich geheißen, sie brauchte keine Küchendienste oder Ähnliches mehr zu tun.
Der Steward lachte anzüglich. »Was du am besten kannst, Kleine! Um acht endet die Nachtschicht. Da holen sich die Heizer gern noch die nötige Bettschwere, bevor’s in die Kojen geht. Hier wird in drei Schichten geschafft, Süße, du hast rund um die Uhr zu tun ...«
In den ersten Tagen erwies sich das als übertrieben, denn die Mannschaft war noch »satt« von den Huren in Kanton, und die Passagiere waren längst nicht so ausgehungert, dass sie ihr schmales Reisebudget an ein Freudenmädchen verschwendet hätten. Aber nach der ersten Woche kam Gloria nur noch selten zur Ruhe, und nach der zweiten wurde ihr Leben endgültig zum Albtraum. Der Steward – er hieß Richard Seaton, aber Gloria konnte nicht an ihn denken, als wäre er ein Mensch mit einem Namen wie alle anderen – verkaufte sie hemmungslos an jeden, der ein paar Cent dafür bot, und er überließ sie den Männern ohne jegliche Auflagen. Natürlich hatten die meisten keine Sonderwünsche, aber diejenigen, die ihren Sadismus an dem Mädchen ausließen, hinderte niemand daran. Ebenso
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