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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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zuwandte und sich erhob, um ihn zu begrüßen, vergaß er den bohrenden Schmerz der Trennung.
    »Obwohl es mir in England durchaus gefallen hat ...«
    Eine sanfte Stimme wie ein Windhauch, der ein Glockenspiel zum Klingen bringt ...
    Charlotte sprach nach wie vor zu ihrer Mutter, und Jack war beinahe froh darüber. Schließlich musste er all seine Beherrschung aufbringen, um das Mädchen nicht schamlos anzustarren. Hätte sie jetzt auch noch das Wort an ihn gerichtet, wäre ihm wohl jede vernünftige Erwiderung im Halse stecken geblieben.
    Charlotte Greenwood war das schönste Mädchen, das Jack je gesehen hatte. Sie war nicht klein wie die meisten von Jacks weiblichen Verwandten, aber sie war zartgliedrig, und ihre Haut schimmerte durchscheinend milchweiß wie edles Porzellan. Ihr Haar war blond wie das ihrer Mutter und ihrer Schwester Jenny, allerdings nicht ganz so hell. Jack erinnerte es an die Farbe von dunklem Honig. Charlotte hatte das Haar am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz gebunden, doch der fiel lang und schwer in üppigen Locken über ihre Schulter. Das Aufregendste waren jedoch ihre großen, tiefbraunen Augen. Jack erschien das Mädchen wie eine Fee – oder wie das zauberhafte Wesen aus dem Lied
Annabell Lee
, das die kleine Lilian ebenso ausdauernd wie falsch zu singen pflegte.
    »Darf ich vorstellen? Meine Tochter Charlotte, Jack McKenzie.« Elizabeth Greenwood durchbrach Jacks atemloses Schweigen.
    Charlotte streckte ihm die Hand entgegen. Jack reagierte unwillkürlich mit einer Geste, die er zwar im Benimmunterricht geübt, aber niemals gegenüber einer Frau aus den Canterbury Plains angewandt hatte: Er küsste dem Mädchen die Hand.
    Charlotte lächelte. »Ich kann mich noch an Sie erinnern, Jack«, sagte sie freundlich. »Von diesem Konzert, das Ihre ... Cousine? ... hier gab, bevor sie nach England ging. Ich bin mit dem gleichen Schiff gereist, wissen Sie.«
    Jack nickte. Er hatte nur verschwommene Erinnerungen an Kura-maro-tinis Abschiedskonzert in Christchurch. Er hatte sich das Programm überhaupt nur angehört, um Gloria auf keinen Fall aus den Augen zu lassen.
    »Sie haben sich um das kleine Mädchen gekümmert, und ich war ein bisschen eifersüchtig.«
    Jack blickte Charlotte ungläubig an. Er war damals fast achtzehn gewesen, und sie ...
    »Ich hätte auch lieber mit dem Holzpferdchen gespielt und dann mit den Maori-Kindern ein Spielzeugdorf gebaut, statt stillzusitzen und zuzuhören, obwohl ich alt genug war«, gestand das Mädchen mit singender Stimme.
    Jack lächelte. »Sie gehören also nicht zu den Bewunderern meiner ... genau genommen ist sie meine Halbnichte ...«
    Charlotte schlug die Augen nieder. Sie hatte lange, honigfarbene Wimpern. Jack war hingerissen.
    »Vielleicht war ich doch noch nicht alt genug«, entschuldigte sie sich. »Allerdings ...«
    Sie hob die Lider wieder und schien jetzt von der höflichen Konversation zur ernsthaften Diskussion einer künstlerischen Darbietung überzugehen, wobei sie kein Blatt vor den Mund nahm. »Allerdings ist Mrs. Martyns Umgang mit dem Erbe ihres Volkes auch nicht so ganz das, was ich unter Bewahrung kultureller Schätze verstehe. Im Grunde bedient sich ›Ghost Whispering‹ doch nur der Elemente einer Kultur, die der Interpretin gerade dienlich scheinen, um ... nun ja, ihren eigenen Ruhm zu mehren. Während die Musik der Maoris, wie ich sie verstehe, doch eher einen kommunikativen Aspekt hat ...«
    Jack verstand zwar nicht ganz, wovon Charlotte eigentlich redete, doch er hätte ihr stundenlang zuhören können. Elizabeth Greenwood schlug die Augen gen Himmel.
    »Hör auf, Charlotte, du hältst wieder Vorträge, während deine Zuhörer höflich verhungern. Aber das sind wir ja schon gewöhnt. Charlotte ist länger in England geblieben, um das College zu besuchen, Jack. Irgendwas mit Geschichte und Literatur ...«
    »Kolonialgeschichte und vergleichende Literatur, Mom«, verbesserte Charlotte sanft. »Es tut mir leid, wenn ich Sie gelangweilt habe, Mr. McKenzie ...«
    »Sagen Sie doch bitte Jack«, rang er sich mühsam ab. Noch immer wollte er das Mädchen am liebsten stumm anbeten. Aber dann kam sein Schalk doch wieder durch. »Zumal wir zu den insgesamt nur etwa drei bis vier Menschen auf diesem Planeten gehören, die Kura-maro-tini Martyn nicht anbeten. Das ist ein sehr exklusiver Klub, Miss Greenwood ...«
    »Charlotte«, sagte sie lächelnd. »Aber ich wollte die Leistung Ihrer ... Halbnichte keineswegs herabwürdigen. Ich hatte in

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