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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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und Charlottes Tod, Jacks Meldung zum Militär und Glorias Verschwinden. So oft es ging, flüchtete sie aus dem leeren Haus in die Ställe und Scherschuppen, aber jetzt war Winter, Juni 1916. Während fast überall auf der Welt Schlachtenlärm tobte, herrschte auf Kiward Station eine geradezu gespenstische Stille. Draußen fiel der leichte, bindfadenartige Regen, der so typisch für die Canterbury Plains war. Die Tiere verzogen sich in die Unterstände, und die Farmarbeiter spielten wahrscheinlich in den Ställen Poker – wie damals, als Gwyn den Pferdestall von Kiward Station zum ersten Mal betreten hatte und einen James McKenzie kennen lernte. Andy McArran, Poker Livingston ... Inzwischen war keiner von ihnen mehr am Leben, Andy war seinem Freund James nur wenige Monate nach dessen Tod gefolgt.
    Gwyneira dachte mit bitterem Lächeln, dass die Runde dann ja wohl wieder beisammen war und ihr Blatt jetzt auf irgendeiner Wolke ausspielte. »Beschummelt ja nicht den heiligen Petrus!«, murmelte sie und strich zum zehnten Mal unruhig durch ihr verlassenes Haus. Sie sorgte sich um Jack – er hatte seit einer Ewigkeit nicht geschrieben, dabei musste er längst fort sein von diesem Strand in der Türkei. Gallipoli – Gwyneira wusste bis jetzt nicht, wie man es richtig aussprach. Und es war wohl auch nicht mehr nötig, es zu lernen. Nach einer letzten, verzweifelten Offensive hatten die Engländer den Strand aufgegeben. Man hatte die ANZAC-Truppen abgezogen. Geordnet angeblich und praktisch ohne Verluste. Die Zeitungen von Christchurch feierten das wie einen Sieg – dabei war es doch nicht mehr als ein grandioses Scheitern. Und Jack wagte es vermutlich nicht einzugestehen. Gwyneira erschien das die einzige Erklärung für sein Schweigen.
    Vor allem sorgte sie sich um Gloria. Es war gut ein Jahr her, dass sie aus dem Hotel in New York verschwunden war, und seitdem hatte niemand von ihr gehört. William und Kura beschäftigten nach wie vor mehrere Privatdetektive, aber bislang gab es keine Spur. Dabei schien Kura eher wütend zu sein, als sich zu sorgen; wahrscheinlich dachte sie an ihren eigenen Ausbruch aus ihrer Ehe und der Sicherheit von Kiward Station, der sie vor Jahren durch Neuseeland und Australien geführt hatte. Gefahren für Leib und Leben hatte sie da nicht gesehen, und auch Gwyneiras Sorge hatte sich damals in Grenzen gehalten. Zeitweise hatte sie zwar nicht genau gewusst, wo Kura steckte, aber es war immer recht sicher gewesen, dass sie die Südinsel nicht verlassen hatte. Gloria dagegen konnte überall sein – und ihr fehlte das unerschütterliche Selbstbewusstsein einer Kura-maro-tini. Zudem war San Francisco ein anderes Pflaster als Christchurch. George Greenwood, der die Stadt kannte, bezweifelte, dass Gloria sie je verlassen hatte.
    »Es tut mir leid, Miss Gwyn, aber ein Mädchen allein in diesem Sündenpfuhl ...« George hatte nicht weitergesprochen, und Gwyneira mochte sich nicht ausmalen, wie ihre Urenkelin womöglich gestorben war.
    »Entschuldigung, Miss Gwyn, aber Essen fertig!« Kiri, die alte Haushälterin, öffnete die Tür zu Gwyneiras kleinem Arbeitszimmer. Sie flüchtete sich gern in diesen Raum, in dem ihre Stimme wenigstens keinen Hall warf, wenn sie mit sich selbst sprach.
    Gwyneira seufzte. »Ich habe keinen Hunger, Kiri ... Und der letzte Appetit vergeht mir, wenn du jetzt im Salon aufträgst. Ich kann zu euch in die Küche kommen, dann essen wir gemeinsam einen Happen, ja?«
    Kiri nickte. Sowohl sie als auch die Köchin Moana waren Gwyneira längst mehr Freundinnen als Dienerinnen geworden. Sie hatten auch kein großes Essen vorbereitet, sondern nur nach einfachstem Maori-Rezept Fisch gebraten und Süßkartoffeln gegart.
    »Rongo Rongo sagen, Gloria nicht tot!«, sagte Moana tröstend, als Gwyneira sich nur wenig davon auf den Teller füllte. Sie wusste genau, was ihre Herrin beschäftigte. »Sie Geister befragt, 
tikki
 sagen, ihr Herz singt traurige Lieder, aber ist nicht fern.«
    »Vielen Dank, Moana.« Gwyn rang sich ein Lächeln ab. Moana mochte der Zauberin etwas für dieses Ritual gezahlt haben, aber vielleicht hatte Rongo es auch aus Interesse oder auf Anweisung des Häuptlings Tonga durchgeführt. Tonga fragte gelegentlich nach Gloria. Er machte sich Sorgen, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen.
    Im Salon klingelte das Telefon. Kiri und Moana fuhren zusammen.
    »Geister rufen!«, meinte Moana, machte aber keine Anstalten, sich in den Salon zu begeben und das Gespräch

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