Der Ruf der Kiwis
dem Hemd spielen zu sehen.
»Nächsten Donnerstag wieder?«, fragte sie atemlos, als sie sich endlich trennten.
Ben nickte. Er kam sich sehr heldenhaft und sogar ein bisschen verrucht vor.
Seit dem ersten Treffen im Stall des Pubs war Lilian unbeschränkt glücklich. Sie genoss ihre heimliche Liebe, aber auch die Arbeit für ihren Vater. Der Krieg erforderte ständige Erweiterungen der Förderkapazitäten der Mine, und Tim traf sich häufig mit anderen Bergbauingenieuren, Eisenbahnern und Geschäftsleuten. Lilian begleitete ihn sowohl zu Arbeitsessen wie auch mitunter zu gesellschaftlichen Anlässen, und Elaine schaute wohlgefällig zu, wie sie dort flirtete und tanzte. Sie hatte zwar den unbestimmten Verdacht, dass ihre Tochter immer noch für Ben Biller schwärmte, aber von ihren heimlichen Treffen und ihren immer wagemutigeren Zärtlichkeiten ahnte sie nichts.
Florence Biller blieb das erst recht verborgen. Sie fand allerdings reichlich andere Anlässe, sich über ihren ältesten Sohn aufzuregen. Bens offensichtliches Desinteresse an ihrer Arbeit und seine Unfähigkeit, die einfachsten praktischen Aufgaben zu erledigen, trieb sie zum Wahnsinn. Ben klagte immer verzweifelter über ihre Ausbrüche. Inzwischen hatte sich auch seine Hoffnung zerschlagen, die Universität von Dunedin besuchen zu können. Sein Vater plädierte zwar dafür, ihn zumindest ein paar Semester Bergbautechnik oder Wirtschaftslehre studieren zu lassen, traf bei Florence aber auf taube Ohren.
»Bergbautechnik, dass ich nicht lache! Unser Ben als Ingenieur! Dabei geht er schon in Deckung, wenn die Kaffeemaschine brodelt!« Der edle, versilberte Apparat zur Kaffeebereitung war Florence’ neueste Errungenschaft. Er stand im Empfangsbereich ihres Büros und wurde allgemein bewundert. »Und in Sachen Wirtschaft kann er in Dunedin auch nicht mehr lernen als bei mir!«
Caleb seufzte. Florence hatte sich ihre Kenntnisse zwangsläufig selbst erarbeitet. Ihr Vater, ebenfalls Minenbesitzer, hätte nicht im Traum daran gedacht, das Mädchen studieren oder auch nur in seinem eigenen Geschäft mitarbeiten zu lassen. Doch Ben war zweifellos ein anderer Typ. Vielleicht hätte er sich für Wirtschaftstheorien begeistern können, hätte man ihm erlaubt, sich der Sache wissenschaftlich zu nähern. Nach wie vor sah Caleb eher eine Universitätskarriere für seinen Sohn als eine Nachfolge in der Minenführung. Glücklicherweise brannten Florence’ jüngere Söhne darauf, dort einzusteigen. Der ältere interessierte sich für Geschäftspolitik, der jüngere bastelte jetzt schon an Dampfmaschinen herum und belud seine Spielzeugeisenbahn begeistert mit »Kohle«.
Caleb sah nicht ein, warum man da nicht auf Ben verzichten konnte, aber Florence hatte gern mehrere Eisen im Feuer. Ben war da; er war alt genug, um im Familienunternehmen zu arbeiten, und das sollte er gefälligst auch tun. Florence, dachte Caleb respektlos, hat so viel Fantasie wie ein Förderkorb.
Nun war Ben ja zum Glück noch jung. Gewöhnlich hätte ein Junge seines Alters noch nicht einmal die Schule beendet, geschweige denn die Universität besucht. Caleb hoffte, dass Florence’ Interesse an ihm abkühlen würde, sobald Sam alt genug war, mit ihr im Büro zu arbeiten. Ben konnte dann immer noch nach Dunedin gehen und brauchte vielleicht nicht mal den Umweg über ein Wirtschaftsstudium einzuschlagen. Caleb gönnte ihm, einfach das zu studieren, was er wollte, er freute sich auf den intellektuellen Austausch mit dem jungen Sprachwissenschaftler.
Leider fehlte es Ben an der Geduld seines Vaters. Er sah keinen Ausweg aus seiner Situation. Das Verbot, in Dunedin oder Christchurch zu studieren, stürzte ihn in tiefste Depression.
»So bleiben wir doch wenigstens zusammen!«, tröstete ihn Lilian. Doch selbst diese Aussicht konnte ihn nicht aufheitern.
»Was ist das für ein Zusammensein!«, klagte er. »Immer nur Heimlichkeiten, ständig Angst, entdeckt zu werden ... Wie lange soll das gehen, Lily?«
Lilian verdrehte die Augen. »Bis wir volljährig sind, natürlich!«, erklärte sie. »Danach können sie uns nichts mehr befehlen. Wir müssen nur noch ein bisschen durchhalten!«
»Ein bisschen?«, fragte Ben verzweifelt. »Bis ich einundzwanzig bin, vergehen noch Jahre!«
Lilian zuckte die Schultern. »Echte Liebe wird eben auf harte Proben gestellt!«, erklärte sie heroisch. »Das ist immer so. In Büchern und Liedern und all dem ...«
Ben seufzte. »Ich überlege, abzuhauen und zum
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