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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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schwankte zwischen Verwunderung und Zorn. »Sie fürchtet sich vor Jack? Aber mein Sohn würde ihr doch nie zu nahetreten! Die beiden hatten immer ein wunderbares Verhältnis. Allerdings lebt Jack zurzeit nicht auf Kiward Station. Er ist beim Militär ...«
    »Das tut mir leid, Mrs. McKenzie. Falls Sie jetzt nicht zu den Frauen gehören, die kaum abwarten können, ihre Söhne in den Krieg zu schicken ... Aber Gloria dürfte es die Eingewöhnung erleichtern.«
    Gwyneira glaubte das nicht, aber bevor sie die reichlich verwirrende Unterhaltung fortsetzen konnte, schob Miss Bleachum Gloria ins Zimmer. Das Mädchen wirkte bleich, aber gefasst. Im Taxi zum Hotel erzählte Gwyneira ihr von Jack und versuchte, ihre Reaktion darauf irgendwie zu deuten. Glorias Ausdruck schwankte zwischen Betroffenheit und Erleichterung.
    »Alles«, sagte sie leise, »wird anders sein.«
    Gwyneira schüttelte den Kopf. »Nicht so anders, Kleines. So viel ändert sich nicht auf einer Schaffarm. Es werden Lämmer geboren, wir treiben die Schafe ins Hochland, sie werden geschoren, wir verkaufen die Wolle ... jedes Jahr, Gloria. Es ist immer gleich ...«
    Gloria versuchte, sich daran zu klammern.
     
    Der Einkaufsbummel am nächsten Morgen gestaltete sich mühsam. Gloria wollte das Hotel am liebsten gar nicht erst verlassen, und als es Gwyn endlich gelungen war, sie in einen Laden zu schleppen, zog es sie zu den hässlichsten, weitesten und dunkelsten Kleidern.
    »Als du klein warst, wolltest du Hosen!«, erklärte Gwyneira dagegen resolut und ließ nicht locker, bis Gloria tatsächlich einen der fast schockierend modernen Hosenröcke anprobierte, deren Gebrauch die Suffragetten für radfahrende und autofahrende Frauen populär gemacht hatten. In England war diese Mode fast schon wieder abgeflaut, aber hier am Ende der Welt galten die weiten, oft orientalisch beeinflussten Beinkleider noch als der neueste Schrei. Gloria standen sie hervorragend, sie blickte verblüfft in den Spiegel. Es war ein ganz anderes Mädchen, das ihr hier entgegenblickte. Die Verkäuferin setzte noch ein schlichtes, windschnittiges Hutmodell auf ihr kurzes, krauses Haar.
    »Die passende Frisur haben Sie ja schon«, sagte sie lächelnd und strich Glorias Haar aus dem Gesicht. Gwyneira bestand darauf, dass ihre Urenkelin das Hosenkleid kaufte und auch gleich auf der Zugreise anbehielt. Schließlich war es gerade für solche Anlässe sehr praktisch. Gloria wand sich allerdings unter den abschätzenden Blicken der Mitreisenden. Auch Gwyneira konnte die Augen kaum von ihr wenden, als sie sich schließlich im Abteil gegenübersaßen.
    »Hab ich irgendwas im Gesicht?«, fragte Gloria schließlich verärgert.
    Gwyneira wäre fast errötet. »Natürlich nicht. Entschuldige, Kind, dass ich dich so anstarre. Aber jetzt, mit diesem Hut ... die Ähnlichkeit ist derart verblüffend ...«
    »Ähnlichkeit mit wem?«, fragte Gloria schroff. Sie schien beinahe Verteidigungshaltung einzunehmen.
    Gwyneira machte eine beschwichtigende Handbewegung.
    »Mit Marama«, sagte sie dann. »Deiner Großmutter. Und mit deinem Großvater Paul. Es ist fast, als habe man ihre Fotografien ... es gibt leider keine, sonst könnte ich es dir beweisen ... als hätte man ihre Bilder auf durchscheinendes Papier gedruckt und die Porträts übereinandergelegt. Manchmal sehe ich Paul, wenn ich von rechts schaue, und Marama, wenn ich von links gucke. Daran muss ich mich erst gewöhnen, Gloria.«
    Tatsächlich erinnerten Glorias Züge sie eigentlich mehr an Marama als an Paul. Nach Maori-Maßstäben war ihr eher breites Gesicht mit den dennoch hohen Wangenknochen durchaus schön, und ihre Figur entsprach genau dem Idealbild der Ureinwohner. Gloria gefiel Gwyneira besser als auf den letzten Fotos aus Amerika, auf denen ihre Züge verschwommen gewirkt hatten. Sie hatte Gewicht verloren und ihr Gesicht an Ausdruck und Struktur gewonnen. Von Paul hatte sie hauptsächlich die dicht zusammenstehenden Augen und das energische Kinn, aber das fiel kaum auf und passte jetzt sogar zu ihrer sportlichen Kleidung. Wenn da nur nicht dieser mürrische, in sich verschlossene Blick wäre ... Genau dieser Blick, die stets leicht gerunzelte Stirn, die angespannte Mundpartie erinnerten Gwyneira an Paul. Keine glücklichen Erinnerungen. Auch Paul war zornig auf die ganze Welt gewesen. Gwyneira begann, sich zu fürchten.
     
    Maaka hatte einen Wagen geschickt, um Gwyneira und Gloria am Bahnhof abzuholen. Auf Gwyneiras ausdrückliche

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