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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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auszusprechen!
    Gloria war hin und her gerissen, was die Aufsicht im Scherschuppen anging. Einerseits brannte sie darauf, die Aufgabe zu übernehmen. Sie wusste, worum es ging; schließlich hatte sie als Kind schon dabei geholfen, die Ergebnisse der einzelnen Scherer und der Schererkolonne in ihrem Schuppen auf einer Wandtafel festzuhalten. Der Schuppen mit den besten Ergebnissen erhielt am Ende einen Preis, und natürlich hatte Gloria mit »ihren« Scherern gezittert. Sie freute sich darauf, die Verantwortung diesmal allein zu übernehmen – sie würde die Aufgabe meistern.
    Andererseits würden die Männer es ihr nicht leicht machen. Für eine Frau war es immer schwer, sich durchzusetzen, und das Gerede, das über Gloria im Umlauf war, machte die Sache auch nicht besser. Inzwischen hieß es, sie sei mit ihrer Mutter als Tanzmädchen durch Amerika getingelt, und eine Tänzerin war für diese rauen Männer, die Musik nur aus dem Pub kannten, eine bessere Hure. Gloria hatte folglich immer häufiger mit Avancen zu kämpfen, die nicht so zurückhaltend waren wie Frank Wilkensons Annäherungen in der ersten Zeit.
    Überhaupt Wilkenson ... Er schien ihr die Ablehnung ernstlich übel genommen zu haben. Anscheinend hatte es seinen Stolz verletzt, dass sie sich anschließend den Maoris anschloss. Dahinter, so nahmen die Männer selbstverständlich an, steckte ein Stammeskrieger, und es machte sie rasend, wenn eine der ohnehin raren weißen Frauen sich für einen der Eingeborenen entschied. Wilkenson und seine Freunde ließen Gloria ihre Verachtung spüren, wann immer möglich. Wobei das Mädchen mit diesem Teil ihrer Geschichte durchaus leben konnte.
    Doch die Angst, es könnte auf die Dauer noch mehr von ihrer Vergangenheit ans Licht kommen, ließ Gloria nicht schlafen. Gwyneira und Jack mochten glauben, dass sie als Schiffsjunge und Gelegenheitsarbeiter den Ozean überquert und Australien durchreist hatte. Die Männer um Wilkenson nahmen ihr das jedoch nie im Leben ab. Zu genau kannten sie die Lebensumstände der Vagabunden und Glücksritter. Ein Mädchen in Männerkleidung kam da niemals unerkannt durch.
    Grandma Gwyn wirkte nicht glücklich über Glorias Entscheidung. Tatsächlich warf sie Jack vielsagende Blicke zu, aber der tat, als nähme er sie nicht wahr. Dabei kämpfte er schon wieder mit Schuldgefühlen. Er hätte Gloria zumindest seine Hilfe anbieten müssen. Doch noch immer ließ ihn allein der Gedanke an den Lärm, die Männerstimmen, das Gelächter und die selbstverständliche, polterige Kameradschaft, die auch das Lagerleben in Alexandria bestimmt hatten, frösteln. Vielleicht im nächsten Jahr ...
    »Ich muss mich endlich um die Sachen in Charlottes Zimmer kümmern«, meinte er ausweichend. »Ich habe diese Universität angeschrieben. Sie werden sich bald melden, und dann ...«
    Gwyneira hatte gelernt, vorsichtig mit ihrem Sohn umzugehen. So verdrehte sie nicht die Augen, sondern seufzte nur unhörbar.
    »Also gut, Glory«, sagte sie schließlich. »Aber bitte achte darauf, richtig zu zählen und dich durch nichts beeinflussen zu lassen. Der Wettbewerb zwischen den Scherschuppen hat nichts mit persönlicher Eitelkeit zu tun, er dient lediglich dazu, die Scherer zu schnellerem Arbeiten zu bewegen. Lass dich also nicht dazu hinreißen ...«
    »Die Zahlen zu fälschen?«, schleuderte Gloria ihr entgegen. »Das kann nicht dein Ernst sein!«
    »Ich weise dich ja nur darauf hin. Paul ...« Gwyneira biss sich auf die Lippen. Vor vielen Jahren hatte Gerald Warden ihrem Sohn Paul die Aufsicht über einen Scherschuppen übertragen, und der Junge hatte ein heilloses Durcheinander angerichtet.
    Jack kannte die Geschichte, Gloria zweifellos ebenfalls. Die alten Viehhüter hatten sie als Kind mit den mangelhaften Rechenkünsten ihres Großvaters geneckt.
    »Mutter, Paul Warden war damals noch ein Kind!«, bemerkte Jack.
    »Und William ...«, beharrte Gwyneira.
    Gloria biss sich auf die Lippen. Auch ihr Vater hatte sich als Vormann der Farm nicht sonderlich bewährt. Aber es war unfair, Gloria mit Williams Fehlern zu kommen. Plötzlich fühlte sie sich nur noch müde. Sie musste sich in Wut hineinsteigern, um nicht zu weinen.
    »Ich höre mir das nicht länger an!«, rief sie schließlich. »Wenn du meinst, ich wäre zu dumm oder zu eitel, um eine Liste zu führen, Grandma, dann musst du’s eben selbst machen. Ansonsten bin ich morgen um acht in Schuppen drei.«
     
    Gloria sorgte für einen kleinen Eklat, indem sie in

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