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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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entschloss, stand sie allein mit zehntausend Schafen. Bevor sie das riskierte, machte sie Zugeständnisse.
    Gloria sah das anders und scheute sich nicht, es ihr später vorzuhalten.
    »Es wäre besser, mit Entlassung der Ngai-Tahu-Arbeiter zu drohen!«, führte sie an, wütend über die unverdiente Zurechtweisung im Beisein des Häuptlings, der sein Feixen hinter einem weisen Lächeln versteckte. »Dann gehen die nämlich schnell auf die Barrikaden. Die Ernte war schlecht, die Familien sind auf die Jobs angewiesen. So viel 
mana
, dass der Stamm sich mitten im Winter auf Wanderschaft jagen lässt, weil es hier nichts mehr zu essen gibt, hat Tonga auf keinen Fall. Du bist viel zu weich, Grandma!«
    Der Vorwurf hatte nun wieder Gwyneira hart getroffen, die sich nicht zu Unrecht viel darauf einbildete, die Farm seit Jahrzehnten praktisch allein zu leiten. Schon zurzeit Gerald Wardens waren alle Fäden bei ihr zusammengelaufen.
    »Solltest du die Farm mal erben, Gloria, kannst du es machen, wie du willst!«, erklärte sie böse. »Aber solange ich sie leite, wirst du dich nach mir richten müssen. Reite jetzt hinaus und sammle diese vermaledeiten Schafe ein!«
    Gloria war blind vor Tränen hinausgestürzt und hatte ihr Pferd und ihren Hund genommen – allerdings keine weiteren Helfer, was sich später als fatal herausstellte. Die versprengten Schafe waren übermütige junge Widder, die aus einem Pferch entwichen waren. Gloria brauchte auch mit der erfahrenen Nimue den ganzen Vormittag, um sie einzutreiben und den Zaun dann notdürftig zu reparieren. Später berichtete Maaka Gwyneira, dass die Tiere schon wieder unterwegs waren. Ein weiterer Tadel für Gloria. Das Mädchen war zu stolz, um Gwyneira zu berichten, dass sie Frank Wilkenson gleich nach ihrer Rückkehr gebeten hatte, Männer mit Werkzeug loszuschicken und den Zaun richtig zu befestigen. Wilkenson hatte sie allerdings wieder mal ignoriert, und erst Maaka hatte sich Stunden später der Sache angenommen. Die Schafböcke in dem abgefressenen Paddock hatten die Lücke in dieser Zeit längst gefunden.
    Gloria hatte sich dann auf ihr Zimmer zurückgezogen und wieder in Jacks Briefen geschmökert, doch seine Schilderung des Lageralltags zwischen den Angriffen und seine überbordende Traurigkeit hatten sie nur weiter deprimiert. Und Zeichnen funktionierte tagsüber nicht; Gloria brauchte die Dunkelheit, um die Bilder in ihrem Kopf zu Papier zu bringen.
    Schließlich war sie hinausgegangen, um die Hunde zu trainieren – und hatte eine erneute Niederlage erlitten. Gloria reichte es für diesen Tag, sie sprach es ausnahmsweise einmal aus.
    Jack schüttelte den Kopf.
    »Du bist genauso wenig dumm wie der Hund«, meinte er. »Du hast bloß den Trick nicht gekannt. Wo ist das Problem?«
    »Weißt du noch mehr solche Tricks?«, fragte Gloria widerwillig.
    Jack nickte. »Hunderte«, behauptete er. »Aber heute bin ich zu müde. Wie wär’s, wenn ich sie dir morgen zeige?«
    Ein Lächeln erschien auf Glorias Gesicht. Jack verschlug es beinahe den Atem. Er hatte sie noch nie offen lächeln sehen, seit er zurück nach Kiward Station gekommen war. Allenfalls schaffte sie ein mattes Grinsen. Aber jetzt leuchteten ihre Augen auf. Er sah einen Widerschein des Vertrauens darin, das Gloria ihm als Kind entgegengebracht hatte – und Bewunderung.
    »Einverstanden!«, sagte sie leise. »Aber irgendwo, wo keiner zuguckt ...«
     
    Die Arbeit mit Gloria und den Collies war eine willkommener Grund, die Beschäftigung mit Charlottes Nachlass aufzuschieben. Jack verstand zwar nicht recht, warum das Ganze heimlich ablaufen sollte, doch er fügte sich in Glorias Wunsch und traf sie auf abgeweideten Schafkoppeln und ein paar Mal sogar im Ring der Steinkrieger, um ihr zunächst mit Tuesday und Nimue die Grundlagen der Hundedressur zu vermitteln und dann mit den Welpen zu üben.
    »Stimmt es, was du damals gesagt hast?«, fragte er sie, als sie über das winterlich braune, aber üppige Grasland nach Hause ritten. »Dass über dem Land hier gar kein 
tapu
 liegt?«
    »Sicher«, erklärte Gloria. »Du kannst die Geschichte selbst nachlesen. Rongo Rongo sagt, sie hätte sie deiner ... deiner Gattin erzählt.«
    »Sie hieß Charlotte«, sagte Jack leise. »Und sie hat Tausende Geschichten gesammelt.«
    »Diese hier ist jedenfalls ein paar hundert Jahre alt, und jeder erzählt sie anders. Aber in dem Steinkreis hat es wohl mal eine Art Zweikampf gegeben. Zwei Männer mit starkem 
mana
 stritten

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