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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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an die letzte Auseinandersetzung mit Gwyneira über Tonga und ließ es bleiben. Gekränkt schlich sie ins Bad.
    Beim Abendessen eröffnete ihr Gwyneira, dass sie Bob Tailor wieder eingestellt hatte. Gloria stand wortlos auf und ging in ihr Zimmer. Nachdem sie sich ausgeweint hatte, nahm sie Zuflucht zu ihrem Stapel Briefe. Inzwischen hatte sie die meisten gelesen. Der, den sie jetzt in der Hand hielt, stammte vom 6. August 1915. Jack musste kurz danach verwundet worden sein. Gloria entfaltete das Blatt.
     
    Heute sind bei einem Scheinangriff zweitausend Männer gestorben. Nur um die Türken abzulenken. Morgen soll es dann ernst werden. Wir werden aus den Gräben springen und schreiend in das Feuer der Feinde rennen. Und die neuen Truppen scheinen sich auch noch darauf zu freuen. Heute Abend werde ich mit ihnen am Feuer sitzen, und sie werden davon träumen, Helden zu sein. Was mich angeht, hasse ich allmählich diese Lagerfeuerseligkeit. Die Männer, mit denen ich heute trinke, sind morgen vielleicht tot. Und wir werden trinken, sie haben Whiskey ausgeschenkt. Dieser Kampf ist nicht zu gewinnen.
     
    Gloria wusste genau, wie Jack sich gefühlt hatte. Sie zeichnete die halbe Nacht.
     

7
    Jack McKenzie hatte sich noch nie so heftig mit seiner Mutter gestritten wie an diesem Abend.
    »Wie kannst du ihr erst die Aufsicht über den Schuppen übertragen und dann ihre Autorität untergraben? Gloria hatte wahrscheinlich völlig Recht. Bob Tailor ist ein Mistkerl!«
    »Wir alle wissen, dass er kein Chorknabe ist«, erwiderte Gwyneira und faltete ihre Serviette zusammen. »Aber Glory muss lernen, über ein paar Hänseleien hinwegzuhören. Meine Güte, als ich jung war, haben sie mir auch Avancen gemacht. Es sind nun mal Männer. Und sie haben keine Benimmkurse besucht.«
    »Und was ist, wenn die Geschichte sich ganz anders zugetragen hat? Warum setzt Frank Wilkenson sich so für den Kerl ein? Hatte der womöglich damit zu tun? Du hättest wenigstens Glorias Version hören müssen. Und selbst wenn ihre Entscheidung falsch war: Sie hatte die Aufsicht im Schuppen, und damit war ihr Wort Gesetz. So haben wir es immer gehalten. Entweder du vertraust ihr, oder du vertraust ihr nicht.« Jack schob seinen Teller von sich und dachte an Gloria, die schon wieder, ohne zu essen, aufgestanden war. Dabei musste sie nach dem mit anstrengender Arbeit ausgefüllten Tag eigentlich hungrig sein. Sie wurde ohnehin immer dünner. Jack dachte an ihr Gesicht, das an diesem Abend nicht einmal mehr nur Wut, sondern pure Verzweiflung widergespiegelt hatte.
    »Das ist es ja eben, Jack. Ich weiß nicht, ob ich ihr vertrauen kann«, meinte Gwyneira. »Sie ist so widerborstig, so wütend auf alle Welt. Auf der Farm kommt sie nicht zurecht, und mit den Maoris offensichtlich auch nicht. Irgendwas stimmt nicht mit dem Mädchen ...«
    »Mutter ...« Jack wusste nicht, wie er es sagen sollte. Eigentlich konnte er es gar nicht sagen. Er würde Gloria damit verraten; es wäre fast wie ein Vertrauensbruch. Gut, sie hatte ihm ihre Geschichte nicht erzählt. Was er zu wissen glaubte, stammte aus dritter Hand. Aber wer war er, dass er etwas aussprach, das Gloria selbst nicht über die Lippen brachte?
     
    Am nächsten Morgen überwand er sich und ritt zu den Scherschuppen. Er wollte nicht wirklich eintreten – und er wusste auch nicht, was er tun konnte, um Gloria zu helfen. Wenn er das Ruder übernahm, wäre das schließlich nicht minder demütigend. Aber irgendetwas musste geschehen.
    Jack stieß die Tür zum Scherschuppen auf und wurde fast erschlagen vom Lärm der protestierenden Schafe und der Männer, die Gloria ihre Ergebnisse zuschrien. Der Staub im Schuppen legte sich brennend auf die Schleimhäute, und Jack kämpfte gegen den Hustenreiz. Er suchte Gloria, die an der Tafel in der Mitte des Raums stand. Sie wirkte klein und verletzlich. In vorderster Reihe der Scherer arbeiteten Frank Wilkenson und Bob Tailor.
    »Jack ...« Gloria schien nicht zu wissen, ob sie sich freuen oder ärgern sollte. Hatte Gwyn ihr Jack hinterhergeschickt, um sie abzulösen?
    Jack lächelte schwach. »Ich ... ich wollte mal versuchen, ob ich es noch kann«, sagte er so laut, dass Wilkenson und die anderen erstklassigen Scherer es hörten. »Eröffnest du ein Konto für mich?«
    Ein paar der älteren Schafscherer applaudierten. Jack McKenzie hatte früher zu den Spitzenscherern gehört.
    Auch Gloria wusste das. Sie schenkte ihm ein herzzerreißendes Lächeln. »Bist du

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