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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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gerettet, wenn ich über die eine Liebe nicht die andere vergessen hätte? Ich wollte glauben, dass Du ebenso glücklich bist wie ich, und habe Dich damit verraten. Und dann, nach Charlottes Tod, bin ich fortgelaufen. Vor mir und vor Dir in einen fremden Krieg. Ich habe gekämpft und getötet – Männer, die nichts anderes getan haben, als ihre Heimat zu schützen –, und ich habe meine Heimat verraten.
    Während ich schreibe, höre ich den Ruf des Muezzins zum Gebet. Fünfmal am Tag. Die anderen Patienten sagen, es mache sie verrückt. Aber für die Menschen hier macht es das Leben einfacher. ›Islam‹ heißt ›Ergebung‹. Etwas annehmen, wie es kommt, akzeptieren, dass Gott sich nicht an Regeln hält ...
     
    England – nun bin ich also auch hier gelandet, und ich denke an Dich, Gloria. Du hast den Himmel hier gesehen, das Grün der Wiesen, die riesigen, uns so unvertrauten Bäume. Es heißt, ich hätte die Schwindsucht, was nicht zutreffen muss, denn ein paar Ärzte haben Zweifel. Aber ganz falsch ist es sicher nicht, denn ich empfinde tatsächlich so: eine Sucht, ein Verlangen zu schwinden, das Gefühl, es wäre viel leichter zu sterben, als weiterzuleben. Ich fürchte inzwischen nichts mehr, als nach Kiward Station zurückzukehren, in die Leere nach Charlottes Tod und Deinem Verschwinden.
    Du bist nun schon so lange fort, Gloria, und obwohl meine Mutter nicht aufgibt und immer noch auf Deine Ankunft auf Kiward Station hofft, heißt es doch, dass Du ›nach menschlichem Ermessen‹ nicht mehr am Leben bist. Die Polizei in San Francisco hat die Suche jedenfalls eingestellt, und auch all die Detektive, die meine Mutter und George Greenwood eingeschaltet haben, haben nie die geringste Spur gefunden. Vielleicht ist es also sinnlos, ja dumm, diesen Brief zu schreiben, beinahe so, als wollte ich Deinen Geist erreichen. Nur der Gedanke daran, dass Gott das ›menschliche Ermessen‹ auch diesmal ad absurdum führt, gibt mir noch Kraft.
     
    Gloria hielt die Briefe im Schoß und weinte. So sehr, wie sie seit jener Nacht in Sarah Bleachums Armen nicht mehr geweint hatte. Jack hatte ihr nach England geschrieben. Er hatte immer an sie gedacht. Und auch er schämte sich. Vielleicht ... vielleicht hatte er viel schlimmere Dinge getan als sie.
    Gloria wusste kaum, was sie tat. Wie in Trance riss sie ihre Zeichnungen aus dem Block und legte sie in den letzten Band von Charlotte McKenzies Aufzeichnungen zur Mythologie der Ngai Tahu. Vor der Wanderung mit den Maoris hatte sie Charlottes sämtliche Texte gelesen, und die letzte Kladde lag noch auf ihrem Bücherbord. Jack würde sie suchen.
     
    Gwyneira ging unruhig im Salon auf und ab und hörte auf den Wind und den Regen vor ihren Fenstern. Das Wetter klarte immer nur kurz auf. Nach wie vor war es kühl und regnerisch, und sie durfte gar nicht daran denken, wie es im Hochland aussah. Natürlich sollten die Schafe sich dort auskennen; auch im Sommer gab es Unwetter. Aber so früh im Jahr und so frisch nach der Schur – Gwyneira bereute ihren Entschluss längst, die Tiere ausgetrieben zu haben. Aber ändern ließ sich jetzt nichts mehr. Kurzfristig fand sie unter keinen Umständen geeignete Männer, um die Schafe zurückzuholen. Frank Wilkenson war der Einzige, der erfahren genug gewesen war, einen Viehtrieb zu leiten. Noch dazu unter diesen Umständen.
    Dennoch verfluchte Gwyneira sich dafür, den Mann nicht längst entlassen zu haben. Jack hatte zweifellos Recht damit gehabt, ihn fristlos zu feuern, aber sie selbst hätte früher bemerken müssen, dass er Gloria quälte. Wenn sie nur an den Vorfall im Scherschuppen dachte ... sie würde Gloria nie wieder in die Augen sehen können! Gwyneira schenkte sich einen Whiskey ein und stellte sich den Tatsachen: Sie hatte den Überblick verloren. Sie wusste nicht mehr, was auf ihrer Farm vor sich ging. Dabei hätte sie früher über jede kleinste Rivalität unter den Arbeitern Auskunft geben können; sie hatte gewusst, wer zur Angeberei oder zum Trinken neigte und wer besondere Aufsicht brauchte. Natürlich hätte sie auch ein wachsames Auge auf Tonga gehalten! Noch vor ein paar Jahren hätte sie sofort überprüft, welches Stück Land den Maoris wirklich heilig war. Sie hätte Tonga nicht mehrere Hektar kampflos überlassen. Aber jetzt hatte sie alles auf Maaka abgeschoben, der damit entschieden überfordert war. Maaka war ein guter Viehhirte, der geborene Vormann aber war er nicht. Und Jack ...
    Das durchdringende Klingeln des

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