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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Totenkopffahne, die es gehisst hatte, aber der Tod war ein nacktes Mädchen. Auf Deck stand ein Junge und fixierte den Teufel. Kämpferisch, siegessicher, während dem Mädchen auf der Fahne Tränen aus den toten Augen rannen.
    Dann ein Mädchen in den Armen eines Mannes – oder war es eher der Teufel aus dem Bild von eben? Die Zeichnerin schien sich nicht entscheiden zu können. Der Mann hielt das Mädchen besitzergreifend fest, aber es sah ihn nicht an. Das Paar lag an Deck eines Schiffes, und der Blick des Mädchens war aufs Meer gerichtet – oder auf eine Insel in der Ferne. Sie wehrte sich nicht, aber sie war auch weit davon entfernt, die Nähe des Mannes zu genießen. Jack errötete, als er sein viel zu großes Geschlechtsteil sah, das wie ein Messer zwischen die Beine des unbeteiligten Mädchens stieß.
    Und wieder eine Stadt. Aber anders als die erste, diesmal kleine Häuser statt großer, ein Häusermeer. Darin ein Teehaus oder etwas Vergleichbares. Es glich eher den Etablissements in Arabien als europäischen Cafés oder Pubs. Der Mann trank mit dem Teufel. Und zwischen ihnen, angerichtet wie ein Fisch auf einer Platte, lag das Mädchen. Daneben lagen Messer bereit. Der Teufel – er war klar zu erkennen – schob Geld zu dem Mann hinüber. Das Mädchen war diesmal nicht nackt, aber das knappe, nuttige Kleidchen ließ es noch schutzloser erscheinen. Sein Ausdruck war verständnislos, ängstlich.
    Von jetzt an spiegelten die Bilder das nackte Grauen. Jack sah das Mädchen, angekettet in der Hölle, umgeben von tanzenden Teufeln, die es auf immer neue Weise bedrängten. Teilweise schoss Jack dabei das Blut ins Gesicht; die Bilder zeigten mitunter erschreckende Details. Oft waren Einzelheiten ausgeführt, dann aber war alles in rasender Wut mit einem Kohlestift schwarz übermalt worden – das ursprüngliche Bild war nur noch schemenhaft erkennbar. Zum Teil hatte die Feder das Papier durchstochen, so hart hatte Gloria sie geführt. Jack konnte ihr Entsetzen geradezu spüren.
    Schließlich, nach einer schier endlosen Reihe Grauen erregender Darstellungen, lag das Mädchen an einem Strand. Es schlief, der Ozean lag zwischen ihm und den Teufeln. Aber jenseits des Strandes warteten neue Ungeheuer. Die nächsten Bilder zeigten eine erneute Odyssee durch die Hölle. Jack erschrak, als er den geschorenen Kopf des Mädchens sah, der von einem Bild zum anderen immer mehr einem Totenschädel glich. Auf den letzten Bildern war von den Gesichtszügen des Mädchens nichts mehr zu erkennen, nur noch Knochen und leere Augenhöhlen. Das Mädchen, dargestellt als Skelett, trug ein dunkles Kostüm und eine hochgeschlossene, helle Bluse. Es bestieg schließlich ein Schiff und schaute wieder in Richtung der Insel, die schon auf dem ersten Bild zu erahnen gewesen war.
    Gloria hatte Jack mit auf ihre Reise genommen.
     
    »Du bist verrückt!« Glorias Stimme hallte schrill durch den Salon, als Jack am nächsten Morgen herunterkam.
    Das Mädchen stand Gwyneira gegenüber – eine der unerquicklichen und viel zu emotionalen Auseinandersetzungen zwischen Großmutter und Urenkelin, die Jack gerade heute so gar nicht brauchen konnte. Allerdings zahlte Gwyneira nicht mit gleicher Münze zurück wie sonst. Sie ließ Glorias Ausbruch gelassen – oder eher gefasst – an sich abprallen. Jack bemerkte verwundert, dass sie Reitkleidung trug und Satteltaschen geschultert hatte.
    »Sie will ins Hochland reiten!«, rief Gloria, als sie Jack die Treppen herunterkommen sah. Sie war dermaßen aufgebracht, dass sie nicht einmal mehr an die Bilder dachte. Auch seine von der Schlaflosigkeit geröteten Augen nahm sie nicht wahr. »Deine Mutter will ins Hochland reiten und die Schafe zurückholen.«
    Gwyneira blickte die beiden hoheitsvoll an. »Stell mich nicht als Verrückte hin, Gloria«, sagte sie ruhig. »Ich bin öfter ins Hochland geritten, als ihr zwei zählen könnt. Ich weiß genau, was ich tue.«
    »Du willst allein reiten?«, fragte Jack verblüfft. »Du willst allein ins Alpenvorland und zehntausend Schafe zusammentreiben?«
    »Die drei verbliebenen 
pakeha
-Viehhüter kommen mit. Und ich war heute Nacht bei Marama ...«
    »Was sagst du da? Du bist heute Nacht nach O’Keefe Station geritten und hast mit Marama gesprochen?« Jack konnte es kaum fassen.
    Gwyneira funkelte ihn an. »Du hattest eine Menge Ausfälle, seit du aus dem Krieg zurück bist, Jack, bislang schien mir dein Gehör jedoch immer noch in Ordnung. Aber gut, noch einmal:

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