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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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hier! Helft eurem feinen Vormann hoch und aufs Pferd und dann ab!«
    Jack wartete noch, bis die Männer sich murrend erhoben. Tailor half Wilkenson beim Aufstehen.
    »Komm mit, wir müssen Princess einfangen«, sagte Jack zu Gloria. »Sie ist wieder rausgerannt.«
    Gloria zitterte.
    »Ich ... muss erst Ceredwen absatteln«, flüsterte sie.
    Erst das Pferd, dann der Reiter. Grandma Gwyn hatte es ihren Kindern und Enkeln praktisch vom ersten Atemzug an eingebläut. Niemand hatte den Verstand zu verlieren, solange noch ein Pferd abzureiben war.
    Jack nickte. »Ich hole dann Princess. Kannst du allein bleiben?«
    Gloria umfasste das Messer und schaute ihn mit einem Blick an, den er nicht zu deuten wusste. Dann sagte sie leise: »Ich war immer allein ...«
    Jack kämpfte wieder mit dem Verlangen, sie in den Arm zu nehmen. Das verlorene Kind – und die geschändete Frau. Aber Gloria würde es nicht wollen. Jack wusste nicht, was sie in ihm sah, er wusste jedoch, dass sie noch weit davon entfernt war, ihm zu vertrauen.
     

9
    »Du warst mutig«, sagte sie später, als die beiden zum Haus zurückgingen. Sie waren durchnässt und müde. Jack fühlte sich obendrein völlig erschöpft, nachdem er sämtliche Pferde in den Stall geholt, gefüttert und dann die verbleibenden Schafe und Rinder versorgt hatte. Und nun musste er seiner Mutter schonend beibringen, dass er eben auch noch den Großteil ihrer restlichen Leute entlassen hatte. Nur wenige 
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 hatten nicht zu Wilkensons Clique gehört. Die würden am kommenden Tag hoffentlich wieder zur Arbeit erscheinen. Maaka war in Christchurch. Tongas Leute boykottierten Kiward Station. Obendrein regnete es in Strömen. An die Stürme im Alpenvorland mochte Jack gar nicht denken. Trotz allem fühlte er sich zufrieden, fast glücklich. Gloria ging neben ihm. Sie war ruhig und entspannter als vor dem Kampf.
    »Ich war in Gallipoli«, erinnerte er sie mit schiefem Lächeln. »Wir sind Helden.«
    Gloria schüttelte den Kopf. »Ich habe deine Briefe gelesen.«
    Jack errötete. »Aber ich dachte ...«
    »Meine Eltern haben sie mir nachgeschickt.«
    »Oh.« Jack erinnerte sich nicht mehr an jedes Wort, das er geschrieben hatte, aber er wusste, dass er sich für einige Passagen schämen würde. Er hatte Gloria als Kind vor sich gesehen, als er die Briefe schrieb. Ein paar seiner Gedanken hätte sie damals nicht verstanden, sie hätte darüber hinweggelesen wie fast jedes Mädchen. Nur nicht Charlotte. Und nicht die Frau, die Gloria geworden war.
    »Die letzten Briefe habe ich gar nicht mehr abgeschickt«, meinte Jack. Er war darüber fast erleichtert. Diese letzten Briefe – aus dem Hospital in Alexandria und dann aus England – waren die schlimmsten. Er war damals am Ende gewesen, und er hatte an ein Mädchen geschrieben, das er eher tot als lebendig wähnte. Gloria war monatelang vermisst gewesen, zum Schluss fast ein Jahr lang.
    »Nein?«, fragte Gloria erstaunt. Sie hatte nur noch zwei ungeöffnete Briefe, deren Lektüre sie aufgeschoben hatte, nachdem sie den letzten Bericht aus Gallipoli gelesen hatte. Aber sie waren ihr gleich am ersten Tag aufgefallen, da die Schrift auf dem Umschlag eine andere war. Weniger flüssig, eher ungelenk. Und die Adresse war unvollständig, die Postleitzahl fehlte. Nun hatten die Zusteller New York auch ohne diese Angabe mühelos ausfindig gemacht. Und der Name der Konzertagentur war richtig geschrieben.
    Gloria glaubte zu ahnen, was passiert war. Jack musste die Briefe irgendwo hingelegt haben, und dann hatte sie eine Krankenschwester – oder vielleicht dieser Roly, der Jack so oft geholfen hatte – beschriftet und frankiert. Ja, es musste Roly gewesen sein. Sicher hatte er vorher schon Post für Jack auf den Weg gebracht und sich den Namen der Agentur gemerkt.
    Gloria hatte es plötzlich eilig, in ihr Zimmer zu kommen. Sie musste diese Briefe lesen.
     
    Liebste Gloria,
    es ist eigentlich sinnlos, Dir zu schreiben, denn ich weiß, dass Du diesen Brief nie bekommen wirst. Aber ich klammere mich an die Hoffnung, Du könntest doch noch am Leben sein und vielleicht an mich denken. Immerhin weiß ich jetzt, dass Du an uns alle gedacht hast, wenn auch vielleicht im Zorn. Ich bin mir inzwischen sicher, dass Du meine Briefe nach England nie erhalten hast. Du hättest sonst um Hilfe gerufen. Und ich ... wäre ich gekommen? Ich liege hier, Gloria, und frage mich, was ich hätte anders machen können. Hätte irgendetwas Charlotte gerettet? Hätte es Dich

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