Der Ruf der Kiwis
davon besonders gut.«
George lächelte. Zumindest war sie ehrlich.
Lilian schleckte Honig von ihren rosa Lippen. »Vielleicht könnte ich meinem Vater in der Mine helfen«, überlegte sie dann. »Das würde ihn sicher freuen ...«
George nickte. Lamberts Älteste war immer von ihrem Vater verwöhnt worden, und die Aussicht, Tim endlich wiederzusehen, hatte sie mehr als alles andere über ihren Trennungsschmerz von England hinweggetröstet.
»Unter Tage?«, neckte sie George.
Lilian sah ihn strafend an, doch in ihren grünbraunen Augen blitzte der Schalk. »Da sind Mädchen nicht erwünscht«, klärte sie ihn auf. »Die Bergleute sagen, eine Frau unter Tage bringt Unglück, was natürlich Unsinn ist. Aber sie glauben das wirklich. Nicht mal Mrs. Biller fährt ein!«
Was die gute Florence sicher hart ankam. George schmunzelte. Offensichtlich hatten Tim und Elaine ihre Tochter über die weiter schwelende Fehde zwischen der Lambert- und der Biller-Mine auf dem Laufenden gehalten. Aber Florence Billers Absicht, gelegentlich auch unter Tage nach dem Rechten zu sehen, hatte immerhin ganz Greymouth aufs Schönste unterhalten. Die Kumpel der Biller-Mine hatten daraufhin geschlossen mit Kündigung gedroht. Frauen unter Tage, so argumentierten sie, führten zu sofortigen Wassereinbrüchen, Steinschlägen und Gasaustritten. Florence Biller hatte dem zunächst vehement widersprochen, aber die Haltung der Bergleute stand fest. Schließlich hatte die rührige Minenbetreiberin klein beigegeben – ein »historisches Vorkommnis«, wie Tim Lambert bemerkte. Stattdessen zwang Florence ihren Gatten Caleb in die Mine. Der war immerhin Geologe und fand auch gleich hochinteressante Gesprächsthemen mit dem ebenfalls geologisch interessierten Steiger. Anschließend wussten beide mehr über außergewöhnliche Verläufe von Kohlenflözen besonders im ostasiatischen Raum, aber die Effektivität des Abbaus unter Greymouth hatte Calebs Besuch nicht positiv beeinflusst. Florence tobte.
»Ich kann ganz gut rechnen«, führte Lilian aus. »Und ich lass mir nichts bieten – also von anderen Mädchen! Da muss man manchmal ganz schön kiebig sein, wenn man mit solchen Biestern zu tun hat wie Mary Jaine Lawson! Und diese Mrs. Biller ist auch so eine ...«
George kämpfte schon wieder mit seiner Heiterkeit. Die kleine Lilian Lambert im Zickenkrieg mit Florence Biller! Wie es aussah, kamen auf Greymouth interessante Zeiten zu.
»Dein Vater und Mrs. Biller werden sich in Zukunft schon vertragen«, meinte er begütigend. »Für Rivalität ist im Krieg kein Raum. Sämtliche Minen werden bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten ausgelastet sein. Europa braucht Kohle für die Stahlproduktion. Die wird jetzt wahrscheinlich auf Jahre hinaus auf Hochtouren laufen.« Er seufzte. George Greenwood war Geschäftsmann, aber er war immer fair gewesen. Es widerstrebte ihm, jetzt am Krieg zu verdienen. Aber zumindest konnte man ihm keine böse Absicht vorwerfen. Er hatte nicht an Kriegsgewinne gedacht, als er die Anteile an der Lambert-Mine kaufte.
»Du jedenfalls wirst damit zur guten Partie, Lily«, zog er seine kleine Freundin auf. »Tims paar Anteile an der Mine werden die Lamberts wieder reich machen.«
Lilian zuckte die Achseln. »Wenn ich jemals heirate, soll der Mann mich um meiner selbst willen lieben. Ob ein Bettler oder ein Prinz, es kommt nur darauf an, wie unsere Herzen sprechen.«
George lachte jetzt wirklich. »Zumindest der Bettler würde deine Mitgift zu schätzen wissen!«, meinte er dann. »Aber meine Neugier ist geweckt. Es interessiert mich brennend, wer einmal dein Herz gewinnt!«
Jack beobachtete glücklich, mit welchem Elan Charlotte die steile Straße zum Leuchtturm auf Cape Reinga emporstieg. Die Medizin von Professor Friedman hatte Wunder gewirkt, Charlotte war seit drei Wochen schmerzfrei und offensichtlich von neuem Mut erfüllt. So war ihr Besuch von Waitangi ein voller Erfolg gewesen. Die McKenzies bewunderten den Versammlungsplatz, auf dem Gouverneur Hobson die Maori-Häuptlinge 1840 in einem improvisierten Zelt empfangen hatte, und besuchten anschließend die in der Nähe ansässigen Stämme. Jack bewunderte ihre mit aufwändigen Schnitzereien geschmückten Versammlungshäuser. Natürlich kannte er den Stil von den Ngai Tahu, aber die Stämme der Südinsel schienen der Gestaltung ihrer
marae
doch nicht so viel Aufmerksamkeit zu widmen. Vielleicht lag es daran, dass sie häufiger wanderten. Die Bewohner der Nordinsel
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