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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Beyrichen
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drücken. An diesem Morgen hatte wieder Regen eingesetzt. Doch die eiskalten Tropfen, die unaufhörlich auf Patricia und Dallis hinunterprasselten, vermochten sie auch nicht mehr schlimmer zu durchnässen, als sie es ohnehin schon war. Die letzte Nacht war die Hölle gewesen. Patricia hatte schrecklich gefroren. Mit der Zeit jedoch hatte sie kaum noch auf die Kälte geachtet – die Schmerzen überlagerten alles andere. Ihr Kopf dröhnte, ihre Augen brannten und je der Atemzug tat ihr weh. Vor Halsschmerzen konnte sie kaum noch schlucken und der Husten quälte sie unaufhörlich. Alle Muskeln und Gelenke schmerzten, sodass jede Bewegung zur Qual wurde. Patricia konnte sich der Erkenntnis nicht mehr verschließen, dass sie Fieber hatte.
    Verdammt, dachte sie erschöpft. Dass sie krank wurde, hatte nun wirklich nicht zu ihrem Plan gehört. Sie durfte sich davon aber nicht allzu sehr beeinträchtigen lassen, es ging schließlich um Dallis’ Leben.
    Die Stute schien tatsächlich zu wissen, dass es Patricia nicht gut ging. Dallis ließ sie kaum aus den Augen und spürte wohl instinktiv, dass sie nicht mehr in der Lage war, wie sonst zu reiten. Bereits beim Aufsitzen stand Dallis wie eine Statue neben dem großen Stein, zu dem Patricia sie geführt hatte, und wartete geduldig, bis das Mädchen es endlich schaffte, sich von diesem Stein auf ihren Rücken zu ziehen. Anschließend schlug Dallis von sich aus ein gemächliches Tempo an, ohne auf Patricias Anweisungen zu warten. Sie bemühte sich auch ganz offensichtlich, besonders behutsam zu gehen, um die auf ihrem Rücken schwankende Reiterin nicht zu verlieren.
    In ihren klaren Momenten empfand Patricia tiefe Dankbarkeit und große Bewunderung für dieses Pferd – sie wusste schließlich, wie unsicher sich Pferde eigentlich fühlten, wenn die reiterliche Führung auf einmal ausblieb. Doch Dallis hatte sich sehr schnell auf die veränderte Situation eingestellt. Statt verwirrt und aufmüpfig zu sein, übernahm sie nun mehr oder weniger die Führung und bewies Patricia gegenüber sogar so etwas wie Verantwortungsbewusstsein.
    Und dieses wunderbare Tier sollte getötet werden!
    Ein weiterer kalter Windstoß traf Patricia und wehte ihr die Haare und Dallis’ Mähne ins Gesicht. Wann sie eigentlich das Gummiband verloren hatte, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt, vermochte Patricia nicht zu sagen. Es war ja auch egal.
    Dallis schritt die ganze Zeit schon unbeirrt voran. Sie hatte ihre Ohren gegen den Wind angelegt, doch schien sie weder zu frieren, noch wirkte sie hungrig. Das Gras, das sie in den Wegpausen abweidete, reichte offenbar aus, um sie bei Kräften zu halten.
    Patricia ließ sie inzwischen einfach machen. Das Pony wusste eindeutig mehr übers Überleben in dieser rauen Gegend als sie selbst.
    Was Patricia tun würde, sobald sie Dallis freigelassen hatte, wie sie jemals zurück nach Hause kommen sollte – diesen Gedanken verdrängte sie.
    Doch nun stand die Stute still.
    Was war los? Patricia öffnete mühsam die Augen.
    Der Regen hatte nachgelassen. Ab und an blitzte die Sonne hindurch und Patricia erschrak, als sie sah, wie tief sie schon stand. »Noch so eine Nacht überleb ich nicht«, flüsterte sie und es dauerte einen Moment, ehe ihr klar wurde, was sie da gesagt hatte. Die Erkenntnis durchzuckte sie so jäh, dass sie die schrecklichen Schmerzen in ihrem Kopf überdeckte: Eine weitere Nacht hier in den Highlands würde sie vielleicht wirklich nicht überleben.
    Dallis schnaubte und trat von einem Fuß auf den anderen.
    Patricia zwinkerte, um ihre verklebten Augenlider zu lösen. Die Stute war auf einem Hügel stehen geblieben, der sich zu einer Senke abflachte. Dunkle Moosflecken und dornige Sträucher bildeten Inselchen in dem graugrünen Gras, durch das der eisige Wind pfiff. Zwischen diesen Inselchen erkannte Patricia merkwürdige große Kugeln, die sich langsam bewegten. Kugeln? Sie rieb sich über die Augen. Doch das Bild blieb.
    Ein Geräusch zerriss die Stille. Patricia kam es merkwürdig bekannt vor, aber es schien, als ob die Töne nicht direkt an ihr Ohr dringen konnten – vielmehr war es, als sei sie von einer Watteschicht umgeben.
    Hörte sich das nicht an wie Seaspray, Gavins Pferd? Wo war eigentlich Gavin? Sie versuchte angestrengt, sich zu erinnern, wann sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Es war schon lange her. Hatten sie sich vielleicht gestritten? Irgendetwas war gewesen, aber Patricia konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran

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