Der Ruf der Pferde
erinnern, was geschehen war.
Plötzlich ertönte das schrille Geräusch direkt vor ihr – und riss Patricia aus ihrem Fiebertraum. Es war Dallis, die gewiehert hatte. Die sonst so friedliche Stute hatte die Ohren gespitzt und stand unter Hochspannung.
»Was ist denn, meine Schöne?«, versuchte Patricia zu flüstern, doch es kam nur ein Krächzen aus ihrer Kehle.
Dallis machte unvermittelt ein paar Schritte zurück. Patricia, von der jähen Bewegung überrascht, schwankte auf ihrem Rücken. Absteigen, überlegte sie. Ich sollte wohl besser absteigen. Sie ließ sich vom Pferd rutschen, doch als ihre Füße den Boden berührten, knickten ihre Beine ein.
Wieder wieherte Dallis schrill. Mühsam hob Patricia den Kopf, um ins Tal zu spähen, und plötzlich wurde ihr bewusst, was die sonderbaren Kugeln dort unten in Wirklichkeit waren: kleine drahtige Ponys mit zottigem Fell. Sie hatte ihr Ziel erreicht! Sie hatte die wilden Ponys gefunden.
Patricia konnte zwei, drei braune Stuten ausmachen – eine von ihnen mit Fohlen bei Fuß. Ein stämmiger Schimmel umrundete die Herde aufgeregt. Vielleicht ein Hengst? Patricia konnte es nicht erkennen. Doch von ihm kamen die fordernden Rufe. Wieder antwortete Dallis. Sie scharrte mit den Vorderfüßen. Dann senkte sie den Kopf und stieß Patricia sanft mit ihrem weichen Pferdemaul an. Ihre dunklen Augen waren auf das Mädchen gerichtet.
Patricia erwiderte ihren Blick. Sie spürte, dass sie keinen Ton mehr herausbringen konnte. Lass mich nicht allein, dachte sie mit aller Kraft. Lass mich bitte nicht allein – ich schaffe es nicht ohne dich!
Doch Dallis schien sie diesmal nicht verstehen zu können. Der Schimmel im Tal rief ein weiteres Mal. Ohne sich noch einmal zu Patricia umzublicken, setzte sich Dallis in Bewegung und trabte in die Senke hinunter.
Der Hengst stieß einen triumphierenden Schrei aus. Mit mächtigen Sätzen galoppierte er der Stute entgegen. Schon hatte er sie erreicht, umrundete sie mit stolz gerecktem Kopf und trieb sie auf die Herde zu, die sich wie auf einen geheimnisvollen Befehl hin in Bewegung setzte.
Lass mich nicht allein, dachte Patricia ein letztes Mal, und ein Wimmern stieg aus ihrer Kehle hoch.
Doch da jagte die Herde bereits durch die Senke und den gegenüberliegenden Hügel hinauf. Dallis und der Schimmelhengst bildeten das Schlusslicht. Gerade als sie den Hügelkamm erreichten, brach die Sonne durch die Wolken und tauchte das Fell der Ponys in flammendes Licht. Das war das Letzte, was Patricia sah.
Dallis, du bist jetzt frei, ging es ihr durch den Kopf. Endlich bist du frei. Dann verlor sie das Bewusstsein.
Ethan fluchte durch die Zähne. Die Sonne war bereits untergegangen und noch immer hatte er Patricia nicht gefunden. Doch es war zu gefährlich, in der Dunkelheit weiterzureiten, sosehr es ihn auch danach drängte. Er konnte nicht riskieren, dass Boomer oder Sonny sich in einem Kaninchenloch die Beine brachen.
Am Fuß eines Berges zügelte er seinen Wallach. Hier hatte ein großer überhängender Felsen einen natürlichen Vorsprung gebildet. Ethan schwang sich aus dem Sattel. Doch als er sich an seinen Packtaschen zu schaffen machte, gab Laird plötzlich Laut.
»Was hast du denn da?« Ethan sah sich nach dem Hirschhund um, der auf den Felsen gesprungen war. Der Hund wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Ethan legte das Zelt zu Boden, griff nach seiner Taschenlampe und machte sich daran, dem Tier hinterherzuklettern.
Laird jaulte aufgeregt. »Was hast du denn?«, fragte Ethan wieder, als er den Hund erreichte, und legte ihm die Hand auf den glatten, schmalen Kopf. Dann entdeckte er es. Beinahe wagte Ethan nicht, genauer nachzusehen, was da zu seinen Füßen im Gras lag, doch er riss sich zusammen. Der Gegenstand war schließlich zu klein, um ein zusammengekauerter Körper zu sein. Er richtete den Schein der Lampe auf den dunklen Fleck vor ihm und sein Herz begann, laut zu klopfen. Ein wollener Pullover. Der Pullover, den Patricia bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte!
Er war auf dem richtigen Weg, schoss es ihm durch den Kopf. Patricia musste hier gewesen sein – und es konnte nicht allzu lange her sein. Der Pullover war zwar nass, aber nicht so schmutzig, als würde er schon länger hier liegen.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er hatte doch gewusst, dass er es schaffen würde! Doch als er den Pullover aufhob, erstarrten seine Züge. Er sah die großen Löcher, an deren ausgefransten Rändern die Wollfäden nur
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