Der Ruf Der Trommel
Huronenfrau war. Sie war Nacognawetos zweite Frau, und er war wiederum ihr zweiter Ehemann - der erste, Berthes Vater, war Franzose gewesen und zehn Jahre zuvor im Franzosenkrieg ums Leben gekommen.
Sie lebten in einem Dorf namens Anna Ooka (ich biß mir auf die Innenseite der Wange, um nicht zu lachen; zweifellos hätte sich »New-Bern« für sie auch seltsam angehört), etwa zwei Tagesritte nordwestlich - Gabrielle zeigte die Richtung mit einer graziösen Kopfbewegung an.
Während ich mich mit Gabrielle und Berthe unterhielt und mit Handbewegungen nachhalf, wurde mir allmählich bewußt, daß noch eine andere Art von Kommunikation stattfand, und zwar mit der alten Frau.
Sie sprach mich nicht direkt an - obwohl sie dann und wann mit Berthe tuschelte, weil sie offensichtlich wissen wollte, was ich gesagt hatte -, doch ihre leuchtenden, dunklen Augen blieben auf mich gerichtet, und ich war mir ihrer Aufmerksamkeit seltsam bewußt. Ich hatte das merkwürdige Gefühl, daß sie mit mir sprach - und ich mit ihr -, ohne daß ein einziges Wort gewechselt wurde.
Ich sah, wie Jamie am anderen Ende der Lichtung Nacognaweto den Rest Brandy in der Flasche anbot; es war also an der Zeit, Gegengeschenke zu machen. Ich gab Gabrielle das bestickte Halstuch und Berthe eine mit Straß verzierte Haarnadel, worüber sie in erfreute Ausrufe ausbrachen. Doch für Nayawenne hatte ich etwas anderes.
Ich hatte in der Woche zuvor das Glück gehabt, vier große Ginsengwurzeln zu finden. Ich holte alle vier aus meiner Medizinkiste und drückte sie ihr lächelnd in die Hand. Sie blickte mich an, grinste dann, band den Stoffbeutel von ihrem Gürtel los und reichte ihn mir. Ich brauchte ihn gar nicht zu öffnen; ich konnte die vier langen, knotigen Gegenstände durch den Stoff fühlen.
Ich lachte zurück; ja, wir sprachen definitiv dieselbe Sprache.
Von Neugier und einem Impuls getrieben, den ich nicht beschreiben konnte, fragte ich Gabrielle nach dem Amulett der alten Dame, wobei ich hoffte, daß dies keine unverzeihliche Verletzung der Etikette bedeutete.
»Grandmère est …« Sie zögerte, denn sie suchte nach dem richtigen französischen Wort, doch ich wußte bereits Bescheid.
»Pas docteur« , sagte ich, »et pas sorcière, magicienne. Elle est …« Ich zögerte ebenfalls; es gab einfach kein passendes französisches Wort.
»Wir sagen, sie ist eine Sängerin«, warf Berthe schüchtern auf französisch ein. »Wir nennen sie Schamanin, und ihr Name bedeutet ›Es mag sein, es wird geschehen‹.«
Die Alte sagte etwas und nickte mir dabei zu, und die beiden Frauen machten ein etwas erschrockenes Gesicht. Nayawenne senkte den Kopf, nahm den kleinen Beutel ab und legte ihn mir in die Hand.
Er war so schwer, daß mein Handgelenk nachgab und ich ihn beinahe fallen ließ. Erstaunt schloß ich meine Finger darum. Das abgetragene Leder war von ihrem Körper erwärmt, und die runde Form schmiegte sich glatt in meine Hand. Einen kurzen Augenblick lang hatte ich das bemerkenswerte Gefühl, daß in dem Beutel etwas lebendig war.
Mein Gesicht muß mein Unbehagen angezeigt haben, denn die Alte krümmte sich vor Lachen. Sie hielt mir die Hand hin, und ich gab ihr das Amulett mit beträchtlicher Hast zurück. Gabrielle eröffnete mir höflich, daß es der Großmutter ihres Mannes ein Vergnügen wäre, mir die nützlichen Pflanzen zu zeigen, die hier wuchsen, wenn ich mit ihr einen Spaziergang unternehmen wolle.
Ich nahm diese Einladung begierig an, und die Alte machte sich mit einer Sicherheit und einem Tempo auf den Weg, die ihr Alter Lügen straften. Ich beobachtete ihre winzigen Füße in den weichen Lederschuhen und hoffte, daß ich in ihrem Alter auch noch in der Lage sein würde, zwei Tage durch die Wälder zu marschieren und dann noch einen Erkundungsgang unternehmen zu wollen.
Wir wanderten ein Stück am Bach entlang, in respektvoller Entfernung von Gabrielle und Berthe gefolgt, die nur zu uns aufschlossen, wenn wir sie zum Übersetzen riefen.
»Jede Pflanze trägt in sich das Heilmittel für eine Krankheit«, erklärte die Alte durch Gabrielle. Sie pflückte einen Zweig und reichte ihn mir mit einem ironischen Blick. »Wenn wir sie nur alle kennen würden!«
Großenteils kamen wir ganz gut mit Gesten zurecht, doch als wir das große Wasserbecken erreichten, in dem Jamie und Ian oft Forellen angelten, blieb Nayawenne stehen und winkte Gabrielle wieder herbei. Sie sagte etwas zu der Frau, die mich mit leicht überraschtem Blick
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