Der Ruf Der Trommel
widerfährt, dann läßt ihre Rache nicht lange auf sich warten.« Er lächelte ironisch. »In dieser Hinsicht erinnern sie mich ein bißchen an die Highlander.«
»Großmama sagt, die Schotten vermehren sich w -« Der beiläufig begonnene Satz erstickte abrupt. Jamie blickte auf und sah, daß Willie sich mit aller Kraft auf die halbfertige Fliege zwischen seinen Fingern konzentrierte, das Gesicht so rot, daß es unmöglich nur vom Feuerschein kommen konnte.
»Wie die Karnickel?« Jamie ließ Ironie und ein Lächeln in seiner Stimme mitklingen. Willie warf einen vorsichtigen Seitenblick in seine Richtung.
»Schottische Familien sind manchmal groß, aye.« Jamie zupfte eine Zaunkönigsdaune aus der kleinen Dose und legte sie vorsichtig an den Schaft des Angelhakens. »Für uns sind Kinder ein Segen.«
Die leuchtende Farbe auf Willies Wangen verblaßte. Er setzte sich etwas gerader hin.
»Ach so. Habt Ihr auch viele Kinder, Mr. Fraser?«
Jamie fiel die Daune aus der Hand.
»Nein, nicht viele«, sagte er und hielt seinen Blick auf das gesprenkelte Laub gerichtet.
»Entschuldigung. Ich habe nicht daran gedacht - das heißt…« Jamie blickte auf und sah, daß Willie erneut rot geworden war und die halbfertige Fliege in seiner Hand zerdrückte.
»Woran gedacht?« sagte er verwundert.
Willie holte tief Luft.
»Also - die… die… Krankheit; die Masern. Ich habe keine Kinder bei Euch gesehen, aber ich habe nicht daran gedacht, als ich sagte… ich meine… daß Ihr vielleicht welche hattet, aber daß sie…«
»Och, nein.« Jamie lächelte ihn beruhigend an. »Meine Tochter ist erwachsen; sie lebt schon lange weit weg in Boston.«
»Oh.« Willie atmete extrem erleichtert auf. »Mehr nicht?«
Ein Lufthauch bewegte die herabgefallene Daune und gab ihre Position im Dunkeln preis. Jamie schnappte mit Daumen und Zeigefinger zu und hob sie sachte auf.
»Doch, ich habe auch einen Sohn«, sagte er und blickte auf den Haken, der sich irgendwie in seinen Daumen gebohrt hatte. Ein kleiner Blutstropfen quoll um das glänzende Metall herum auf. »Ein Prachtjunge, und ich liebe ihn sehr, aber im Augenblick ist er nicht zu Hause.«
28
Erhitzte Gespräche
Als es Abend wurde, hatte Ian glasige Augen bekommen, und er fühlte sich heiß an. Er setzte sich auf seinem Strohlager auf, um mich zu begrüßen, schwankte aber alarmierend, und er konnte nicht geradeaus blicken. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, sah mir aber dennoch zur Bestätigung seinen Mund an; wie erwartet leuchteten die kleinen, symptomatischen Koplik-Flecke weiß auf seiner dunkelroten Mundschleimhaut auf. Obwohl die Haut auf seinem Hals unter seinen Haaren immer noch so hell war wie die eines Kindes, zeigte sich dort ein harmlos aussehender Ausschlag aus kleinen, rosa Pickelchen.
»Gut«, sagte ich resigniert. »Du hast sie. Am besten kommst du mit zum Haus, damit ich mich besser um dich kümmern kann.«
»Ich habe die Masern? Heißt das, daß ich sterben muß?« fragte er. Es schien ihn nur beiläufig zu interessieren, als sei seine ganze Aufmerksamkeit auf ein Bild in seinem Innern konzentriert.
»Nein«, sagte ich nüchtern und hoffte, daß ich recht hatte. »Aber dir geht’s ziemlich mies, oder?«
»Ich habe etwas Kopfweh«, sagte er. Das konnte ich sehen; seine Augenbrauen waren zusammengezogen, und selbst das schwache Licht meiner Kerze brachte ihn zum Blinzeln.
Doch er konnte noch laufen, und das war auch gut so, dachte ich, während ich zusah, wie er schwankend die Leiter vom Heuboden herunterstieg. Er sah zwar aus wie ein dürrer Storch, doch er war gut zwanzig Zentimeter größer als ich und mindestens dreißig Pfund schwerer.
Es waren nur zwanzig Meter bis zum Blockhaus, doch bis ich ihn dort hatte, zitterte Ian vor Erschöpfung. Als wir eintraten, setzte sich Lord John auf und machte Anstalten, aus dem Bett zu steigen, doch ich winkte ab.
»Bleibt liegen«, sagte ich und ließ Ian kraftlos auf einen Hocker sinken. »Ich komme schon zurecht.«
Ich hatte auf dem Rollbett geschlafen; es war schon vorbereitet mit
Laken, Bettdecke und Kissen. Ich schälte Ian aus seinen Kniehosen und Strümpfen und steckte ihn unverzüglich unter die Decke. Seine Wangen waren gerötet und klamm, und er sah viel kränker aus als in der gedämpften Beleuchtung des Heubodens.
Der Weidenrindentee, den ich hatte ziehen lassen, war dunkel und aromatisch; gerade richtig zum Trinken. Ich goß ihn vorsichtig in eine Tasse und blickte dabei zu Lord John
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