Der Ruf Der Trommel
nicht sein«, versicherte ihm Ian, die Augen fest geschlossen. »Onkel Jamie würde niemals jemanden umbringen, es sei denn, er hätte guten Grund dazu.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lord John leicht erschrocken zusammenfuhr. Offensichtlich war ihm der Gedanke nie gekommen, daß es Jamie gewesen sein könnte.
»Nein«, versicherte ich ihm, als ich sah, daß sich seine hellen Augenbrauen zusammenzogen. »Er war es nicht.«
»Also, ich war es auch nicht«, sagte Ian selbstsicher. »Und wen könnte Tante Claire sonst schützen wollen?«
»Du schmeichelst dir, Ian«, sagte ich trocken. »Aber da du darauf bestehst…«
Mit meiner Zurückhaltung hatte ich in der Tat Ian schonen wollen. Kein anderer konnte durch die Geschichte Schaden nehmen - der Mörder war tot und Mr. Willoughby höchstwahrscheinlich auch, umgekommen im tiefen Dschungel der Hügel Jamaicas, obwohl ich aufrichtig hoffte, daß es nicht so war.
Doch es war noch jemand in die Geschichte verwickelt; die Frau, die ich als Geillis Duncan kennengelernt und später unter dem Namen Geillis Abernathy wiedergetroffen hatte. In ihrem Auftrag war Ian aus Schottland entführt worden, dann in Jamaica gefangengehalten worden und Dinge hatte erlitten, von denen er uns erst in letzter Zeit zu erzählen begonnen hatte.
Doch es sah so aus, als gäbe es jetzt kein Zurück mehr - Ian war so widerspenstig wie ein Kind, das auf seiner Gutenachtgeschichte besteht, und Lord John saß im Bett wie ein Streifenhörnchen, das mit vor Interesse leuchtenden Augen auf Nüsse wartet.
Und so lehnte ich mich mit dem makaberen Drang, mit »Es war einmal« zu beginnen, an die Wand, Ians Kopf immer noch auf dem Schoß, und begann die Geschichte vom Gut Rose Hall und seiner Herrin, der Hexe Geillis Duncan, vom Reverend Archibald Campbell und seiner seltsamen Schwester Margaret, vom Unhold von Edinburgh und der Fraserprophezeiung und von einer Nacht voller Feuer und Krokodilsblut, in der die Sklaven von sechs Plantagen am Ufer des Yallahs River sich erhoben und ihre Herren gemeuchelt hatten, angestachelt von Ishmael, dem Houngan.
Von den späteren Ereignissen in der Höhle von Abandawe auf Haiti sagte ich nichts. Ian war sowieso dabeigewesen. Und diese Geschehnisse hatten nichts mit dem Mord an Mina Alcott zu tun.
»Ein Krokodil«, murmelte Ian. Seine Augen waren geschlossen, und sein Gesicht hatte sich unter meinen Fingern weiter entspannt,
trotz der grauenvollen Natur meiner Geschichte. »Du hast es wirklich gesehen, Tante Claire?«
»Ich habe es nicht nur gesehen, ich bin daraufgetreten«, bestätigte ich ihm. »Oder vielmehr, ich bin daraufgetreten, und dann habe ich es gesehen. Hätte ich es zuerst gesehen, wäre ich in die andere Richtung gelaufen, darauf kannst du Gift nehmen.«
Aus dem Bett erklang ein leises Lachen. Lord John kratzte sich am Arm und lächelte.
»Ihr müßt das Leben hier äußerst langweilig finden, Mrs. Fraser, nach Euren Abenteuern auf den Westindischen Inseln.«
»Ab und zu ein bißchen Langeweile würde mir gar nichts ausmachen«, sagte ich voller Sehnsucht.
Unwillkürlich blickte ich auf die verriegelte Tür. Dort hatte ich Ians Muskete hingestellt, die ich aus dem Maisspeicher mitgebracht hatte, als ich ihn geholt hatte. Jamie hatte sein Gewehr mitgenommen, doch seine Pistolen lagen auf der Anrichte, geladen und schußbereit, wie er sie für mich zurückgelassen hatte, und Munitionskiste und Pulverhorn waren ordentlich daneben arrangiert.
Es war gemütlich in der Blockhütte. Der Feuerschein flackerte golden und rot auf den grobrindigen Wänden, und die Luft war erfüllt vom warmen Nachklang der Düfte von Eichhörncheneintopf und Kürbisbrot, gewürzt mit dem bitteren Aroma des Weidentees. Ich strich mit den Fingern über Ians Kinn. Noch kein Ausschlag, doch die Haut war angespannt und heiß - immer noch sehr heiß, trotz der Weidenrinde.
Von Jamaica zu erzählen hatte mich zumindest ein wenig von meiner Sorge um Ian abgelenkt. Kopfschmerzen waren kein ungewöhnliches Symptom, wenn jemand die Masern hatte; doch schwere und anhaltende Kopfschmerzen schon. Meningitis und Enzephalitis waren gefährliche - und nur allzugut mögliche - Komplikationen dieser Krankheit.
»Was macht der Kopf?« fragte ich.
»Ein bißchen besser«, sagte er. Er hustete und kniff die Augen zu, als die Stöße seinen Kopf schüttelten. Er hielt inne und öffnete sie ein Stückchen; dunkle, fieberglühende Schlitze. »Mir ist furchtbar heiß, Tante Claire.«
Ich
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