Der Ruf Der Trommel
sagte er und lächelte zurück, als er ihren Eimer ergriff. »Warum?«
Sie nickte und wies mit ihrem kleinen, spitzen Kinn über seine Schulter hinweg. »Der neue Mond liegt in den Armen des alten; wenn das an Land schönes Wetter bedeutet, dann ist es doch auf See bestimmt auch so, oder?«
Er blickte sich um und sah die bleiche, klare Rundung des Silbermondes, der einen glühenden Kreis umfaßte. Er schwebte hoch oben und perfekt im endlosen, blaßlila Abendhimmel, und die indigofarbene See verschluckte sein Spiegelbild.
»Vertu deine Zeit nicht mit Quatschen, Mädchen - mach schon und frag ihn!« Er drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu hören, wie eine Frau in mittleren Jahren, die hinter Morag stand, dieser ins Ohr zischte. Morag starrte sie wütend an.
»Willst du wohl still sein?« zischte sie zurück. »Nein, ich hab’ gesagt, ich tu’s nicht!«
»Du bist ein Sturkopf, Morag«, erklärte die ältere Frau und trat unerschrocken vor, »und wenn du ihn nicht fragst, dann tu ich es für dich!«
Die gute Frau legte ihre breite Hand auf Rogers Arm und lächelte ihn charmant an.
»Wie heißt du denn, Junge?«
»MacKenzie, Ma’am«, sagte Roger respektvoll und verkniff sich ein Lächeln.
»Ah, MacKenzie, wirklich? Na siehst du, Morag. Wahrscheinlich
ist er auch noch mit deinem Mann verwandt und tut dir deswegen gern den Gefallen!« Die Frau wandte sich triumphierend an das Mädchen und schwang sich dann wieder herum, um Roger eine volle Breitseite ihrer Persönlichkeit zu verpassen.
»Sie stillt ein Baby und stirbt dabei vor Durst. Eine Frau muß viel trinken, wenn sie stillt, oder ihre Milch versiegt; das weiß jeder. Aber das dumme Gör kann sich nicht durchringen, dich um etwas mehr Wasser zu bitten. Das würde ihr hier doch keiner mißgönnen - oder?« fragte sie rhetorisch, indem sie sich umwandte und die anderen Frauen in der Schlange herausfordernd ansah. Wie zu erwarten war, wackelten ihre Köpfe von rechts nach links wie Uhrmacherspielzeuge.
Es wurde schon dunkel, doch Morags Gesicht rötete sich sichtlich. Sie preßte die Lippen fest zusammen und nahm den randvollen Wassereimer mit einem kurzen Kopfnicken in Empfang.
»Ich dank’ Euch, Mr. MacKenzie«, murmelte sie. Sie blickte nicht auf, bis sie die Luke erreichte - doch dann hielt sie inne und sah sich nach ihm um, und ihr Lächeln war so voller Dankbarkeit, daß er spürte, wie ihm warm wurde trotz des scharfen Abendwindes, der ihm durch Hemd und Jacke blies.
Mit Bedauern sah er zu, wie die Emigranten nach der Wasserausteilung unter Deck stiegen und die Luke für die Dauer der Nachtwachen über ihnen dichtgemacht wurde. Er wußte, daß sie sich Geschichten erzählten und sangen, um sich die Zeit zu vertreiben, und er hätte viel darum gegeben, ihnen zuzuhören. Nicht nur aus Neugier, sondern auch aus Sehnsucht - es war weder Mitleid mit ihrer Armut, das ihn bewegte, noch der Gedanke an ihre unsichere Zukunft; es war der Neid um das Zusammengehörigkeitsgefühl, das unter ihnen herrschte.
Doch der Kapitän, die Besatzung, die Passagiere, selbst das ach so wichtige Wetter nahmen nur ein Fragment von Rogers Gedanken ein. Seine Gedanken, Tag und Nacht, naß oder trocken, hungrig oder satt, galten Brianna.
Als das Signal zum Abendessen kam, ging er in die Messe hinunter und aß, ohne großartig darauf zu achten, was auf seinem Brettchen lag. Er hatte die zweite Wache; nach dem Essen ging er zu seiner Hängematte und zog es vor, allein zu sein und seine Ruhe zu haben, anstatt auf dem Vordeck Gesellschaft zu suchen.
Natürlich war an Alleinsein nicht zu denken. Während er sanft in seiner Hängematte schaukelte, spürte er jedes Zucken und jede Drehung seines Nebenmannes, spürte die verschwitzte Hitze des schlafenden
Körpers neben ihm klamm durch das dichte Baumwollnetz. Jeder Mann nannte einen halben Meter Platz zum Schlafen sein eigen, und Roger war sich der Tatsache unangenehm bewußt, daß seine Schultern dieses Maß auf jeder Seite um gute fünf Zentimeter überschritten, wenn er auf dem Rücken lag.
Nachdem zwei Nächte lang die Stöße und brummigen Beschimpfungen seiner Schiffskameraden seinen Schlaf gestört hatten, hatte er die Plätze getauscht und war neben dem Schott zu liegen gekommen, wo er nur einem Kameraden Unannehmlichkeiten bereiten konnte. Er lernte es, auf einer Seite zu liegen, das Gesicht ein paar Zentimeter von der hölzernen Trennwand entfernt, mit dem Rücken zu seinen Kameraden, lernte es, sich auf die
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