Der Ruf Der Trommel
darf sie verlassen. Wenn es Kinder gibt, bleiben sie bei der Mutter.«
»Aber dann -«
»Das Problem war, daß ich mich als Priester stets geweigert hatte, Säuglinge zu taufen, wenn nicht beide Eltern Christen und im Zustand der Gnade waren. Das ist notwendig, versteht Ihr, wenn das Kind im Glauben erzogen werden soll - ansonsten neigen die Indianer dazu, das Sakrament der Taufe nur als eins ihrer heidnischen Rituale zu betrachten.«
Alexandre holte tief Luft.
»Und natürlich konnte ich dieses Kind nicht taufen. Das beleidigte und entsetzte Kennyanisi-t’ago, der darauf bestand, daß ich es tun sollte. Als ich mich weigerte, befahl er, daß ich gefoltert werden sollte. Meine - das Mädchen - hat sich für mich verwendet und wurde darin von ihrer Mutter und verschiedenen anderen, einflußreichen Dorfbewohnern bestärkt.«
In der Folge war ein Riß der Kontroverse und der Spaltung durch das Dorf gegangen, und schließlich hatte der Sachem angeordnet, daß sie Père Alexandre zu Onyarekenata brachten, wo ein unparteiischer Rat entscheiden sollte, was zu tun war, um die Harmonie unter ihnen wiederherzustellen.
Roger kratzte sich den Bart; vielleicht war die Assoziation mit Läusen der Grund für die Abneigung, die die Indianer gegenüber den behaarten Europäern empfanden.
»Ich fürchte, ich verstehe das nicht ganz«, sagte er vorsichtig. »Ihr
habt Euch geweigert, Euer eigenes Kind zu taufen, weil seine Mutter keine gute Christin war?«
Alexandre machte ein überraschtes Gesicht.
»Ah, non ! Sie steht zu ihrem Glauben - obwohl es mehr als verständlich wäre, wenn sie es nicht täte«, fügte er reuevoll hinzu. Er seufzte. »Nein. Ich kann das Kind nicht taufen, nicht wegen seiner Mutter - sondern weil der Vater im Zustand der Sünde ist.«
Roger rieb sich die Stirn und hoffte, daß sein Gesicht sein Erstaunen nicht verriet.
»Ah. Und wolltet Ihr mir deshalb beichten? Um wieder in der Gnade zu stehen und damit -«
Der Priester brachte ihn mit einer kleinen Geste zum Schweigen. Er saß einen Augenblick still, und seine schmalen Schultern waren zusammengesunken. Er mußte zufällig an seine Wunde gekommen sein; die geronnene Masse war aufgesprungen, und Blut lief ihm wieder langsam über den Hals.
»Verzeiht mir«, sagte Alexandre. »Ich hätte Euch nicht fragen sollen; es war nur, daß ich so dankbar dafür war, meine Muttersprache sprechen zu können; ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, meine Seele zu erleichtern, indem ich es Euch erzählte. Aber es hat keinen Sinn; es kann keine Absolution für mich geben.«
Die Verzweiflung des Mannes war so deutlich, daß Roger ihm eine Hand auf den Unterarm legte, so sehr wünschte er sich, sie zu lindern.
»Seid Ihr sicher? Ihr habt gesagt, in Notlagen -«
»Das ist es nicht.« Er legte seine Hand auf Rogers und drückte sie fest, als könnte er Kraft aus dem Griff des anderen ziehen.
Roger sagte nichts. Einen Augenblick später erhob sich Alexandres Kopf, und der Priester sah ihm ins Gesicht. Das Licht draußen hatte sich verändert; es lag ein schwaches Leuchten, ein Glanz in der Luft, der schon beinahe Licht war. Sein eigener Atem puffte weiß vor seinem Mund auf wie Rauch, der zu dem Loch über ihnen aufstieg.
»Auch wenn ich beichte, wird mir nicht vergeben werden. Echte Reue ist die Voraussetzung dafür, die Absolution zu erlangen; ich muß meiner Sünde widersagen. Und das kann ich nicht.«
Er verstummte. Roger wußte nicht, ob er etwas sagen sollte, und was. Ein Priester, nahm er an, hätte etwas wie »Ja, mein Sohn?« gesagt, doch das konnte er nicht. Statt dessen ergriff er auch Alexandres andere Hand und hielt sie fest.
»Meine Sünde war, sie zu lieben«, sagte Alexandre ganz leise, »und daß ich es nicht lassen kann.«
57
Das zersplitterte Lächeln
»Zwei Speere ist uns wohlgesonnen. Die Angelegenheit muß vor den Rat gebracht und dort genehmigt werden, aber ich glaube, das wird sie auch.« Jamie ließ sich gegen eine Kiefer fallen und sackte vor Erschöpfung ein wenig zusammen. Wir waren eine Woche im Dorf gewesen; er hatte die letzten drei Tage fast vollständig mit dem Sachem des Dorfes verbracht. Ich hatte ihn oder Ian kaum zu Gesicht bekommen, war aber von den Frauen gastlich aufgenommen worden, die höflich waren, aber auf Distanz blieben. Ich hielt mein Amulett sorgfältig außer Reichweite.
»Dann haben sie ihn also?« fragte ich und spürte, wie sich der Knoten der Angst zu lösen begann, den ich so lange mit mir
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