Der Ruf Der Trommel
brauchst sie meinetwegen nicht alle anzuzünden.« Brianna sprach genauso aus dem Wunsch heraus, die stille Melancholie des Zimmers nicht zu stören, wie aus Bescheidenheit. »Die Dunkelheit stört mich nicht.«
Der Butler lächelte sacht und fuhr mit seiner Arbeit fort. Er berührte präzise jeden Docht, und sofort sprangen kleine Flammen auf, von Zauberhand herbeigerufene Flaschengeister.
»Miss Jo kommt bald herunter«, sagte er. »Sie kann die Flammen sehen - und das Feuer - und erkennt daran, wo sie sich im Zimmer befindet.«
Als er fertig war, blies er die Kerze aus, dann bewegte er sich auf den üblichen leisen Sohlen durch das Zimmer, während er die leichte Unordnung richtete, die die Gäste des Nachmittags hinterlassen hatten, und Holz auf das Feuer legte, dem er mit einem Blasebalg knisterndes Leben einhauchte.
Sie beobachtete ihn; die kleinen, präzisen Bewegungen seiner gepflegten Hände, seine vollständige Hingabe an die korrekte Plazierung der Whiskykaraffe und ihrer Gläser. Wie oft hatte er dieses Zimmer schon aufgeräumt? Jedes Möbelstück, jeden winzigen Dekorationsgegenstand wieder präzise an seinen Platz geschoben, so daß sich die Hand seiner Herrin ohne Umhertasten darauf senken konnte?
Ein ganzes Leben, das den Bedürfnissen eines anderen Menschen gewidmet war. Ulysses konnte sowohl Französisch als auch Englisch schreiben; konnte rechnen, konnte singen und Cembalo spielen. All diese Fähigkeiten, all dieses Wissen - allein zur Unterhaltung einer autokratischen, alten Dame eingesetzt.
»Komm« zu einem Mann zu sagen, und er kam, »Geh« zu einem anderen, und er ging. Ja, so ging es bei Jocasta.
Und wenn es nach Jocasta ging… würde dieser Mann Brianna gehören.
Diese Vorstellung war unverantwortlich. Schlimmer noch, sie war lächerlich! Brianna rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her und versuchte, sie zu verdrängen. Er bemerkte die leichte Bewegung und wandte sich fragend um, um nachzusehen, ob es an etwas fehlte.
»Ulysses«, platzte sie heraus. »Wärst du gern frei?«
Im selben Moment, als die Worte heraus waren, biß sie sich auf die Zunge und spürte, wie ihre Wangen schamrot wurden.
»Es tut mir leid«, sagte sie sofort und sah auf ihre in ihrem Schoß verknoteten Hände herab. »Das war eine furchtbar unhöfliche Frage. Bitte entschuldige.«
Der hochgewachsene Butler sagte nichts, sondern betrachtete sie einen Augenblick nachdenklich. Dann berührte er sacht seine Perücke, als wollte er sie geraderücken, und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Er hob die auf dem Tisch verstreuten Skizzen auf und stieß sie ordentlich zu einem Haufen zusammen.
»Ich wurde frei geboren«, sagte er schließlich so leise, daß sie sich nicht sicher war, ob sie ihn gehört hatte. Sein Kopf war gesenkt, sein Blick auf seine langen, schwarzen Finger gerichtet, die die elfenbeinernen Jetons vom Spieltisch aufhoben und jeden ordentlich in seiner Schachtel verstauten.
»Mein Vater hatte einen kleinen Hof, nicht sehr weit von hier. Aber er ist an einem Schlangenbiß gestorben, als ich ungefähr sechs war. Meine Mutter konnte uns nicht ernähren - sie war nicht stark genug für eine Bäuerin -, also hat sie sich verkauft und das Geld bei einem Zimmermann für meine Lehre hinterlegt, damit ich etwas Nützliches lernen konnte.«
Er schob die Elfenbeinkiste an ihren Platz im Spieltisch und wischte einen Kuchenkrümel fort, der auf das Cribbagebrett gefallen war.
»Aber dann ist sie gestorben«, fuhr er unbewegt fort. »Und anstatt mich in die Lehre zu nehmen, behauptete der Zimmermann, ich sei das Kind einer Sklavin und damit dem Gesetz nach selbst ein Sklave. Und so hat er mich verkauft.«
»Aber das ist Unrecht!«
Er sah sie mit geduldiger Belustigung an, sagte aber nichts. Und was hat das jemals mit Recht zu tun gehabt? sagten seine dunklen Augen.
»Ich habe Glück gehabt«, sagte er. »Ich wurde - sehr billig, weil
ich klein und gebrechlich war - an einen Schulmeister verkauft, den mehrere Plantagenbesitzer am Cape Fear angeheuert hatten, damit er ihre Kinder unterrichtete. Er ritt von einem Haus zum nächsten, blieb in jedem eine Woche oder einen Monat, und ich begleitete ihn, hinter ihm auf die Pferdekruppe gezwängt, versorgte das Pferd, wenn wir haltmachten und erledigte auf Wunsch kleine Arbeiten für ihn. Und weil die Wege so lang und eintönig waren, sprach er unterwegs mit mir. Er sang - der Mann liebte es zu singen, und er hatte eine ganz wunderbare Stimme -« Zu
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