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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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nicht zum Sterben!«
    »Was soll das Gejammer?«, fragte Ansgar. »Sterben wird nur, wer ohnehin dem Tod verfallen ist. Wir werden den Schwerttau mischen, so gut wir können, und die Skopen werden Lieder über uns singen.«
    Volkers Hände griffen wieder in die Saiten. Er stimmte ein neues Lied an, eine bekannte Zote von der Verführung der Riesentochter Gunnlöð durch Wodan. Bei den ersten Klängen fingen einige Männer an zu lachen, dann fielen sie gemeinsam in den Gesang ein. Ihre Stimmen hallten durch die Nacht.
    Hunen und Friesen außerhalb des Gartens sahen sich an. Was waren das für Menschen, die angesichts des drohenden Endes Lieder sangen?
     
    Grimhild war in ihre Kammer geflohen. Dort saß sie nun auf dem Boden, inmitten der Schneckenhäuser und Schiffchen ihres Sohnes, und verlor sich in der Vergangenheit. Sie erinnerte sich an die schwere Geburt und ihren Schwur, Aldrian nicht sterben zu lassen wie ihre ersten Kinder. Sie erinnerte sich, wie er schrie, als er seinen ersten Zahn bekam, und wie er zum ersten Mal aus ihren Armen in die seines Vaters lief. Sie erinnerte sich, wie sie ihren Sohn lehrte, einen Widder mit Fingern darzustellen. »Ich werde nicht weinen!«, sagte Grimhild, während ihr Tränen die Wangen hinunterströmten. »Ich werde nicht weinen!«
     
    Abseits von den anderen, an einem Feuer an der Ostseite der Gartenmauer, saß Hagen. Niemand beachtete ihn. Er war immer ein Einzelgänger gewesen, der das Alleinsein der Gesellschaft der Menschen vorzog. Niemand sah, was er tat. Nackt hockte er am Feuer, leerte seinen Verstand und machte sich aufnahmebereit. Als es Zeit war, entnahm er seinem Beutel mehrere Säckchen mit zerriebenen Pflanzen und schüttete diese in einen wassergefüllten Kessel, der über dem Feuer hing. Er pries die Voraussicht, die ihn veranlasst hatte, während der Reise Fliegenpilze zu sammeln. Frisch war ihre Wirkung stärker. Er gab eine Handvoll davon aus seinem Beutel in den Kessel, überlegte es sich dann anders und schüttete alle hinein.
    Es war nicht das erste Mal, dass er sich in die heilige Ekstase versetzte. Nicht umsonst war er einst gefürchtet gewesen als einer vom Kampfbund im Zeichen des Wolfes. Viele gab es nicht mehr, die das Geheimnis der Berserkerwut kannten; zu schrecklich war der Preis, den man dafür zahlen musste. Die meisten Krieger waren zu schwach, die Grenze zu ziehen. Früher oder später übertrat jeder die unsichtbare Linie und kehrte nicht zurück. Hagen war immer vorsichtig gewesen. Er hatte stets darauf geachtet, einen Rest seines Wesens zu behaupten, um anschließend wieder die Kontrolle zu übernehmen. Diesmal würde es anders sein. Diesmal würde er die Grenze überschreiten. Diesmal gab es keinen Weg zurück. Er sagte sich von den Menschen los.
     
»Nimm an, Ase
die Opfergabe:
Ich entsage dem Heim,
ich entsage der Sippe,
ich entsage dem Frieden«,
     
    sprach er, während der Sud über dem Feuer heiß wurde. Unter halblauten Gesängen in der Alten Sprache nahm er einen Speer und ritzte seine Brust mit ansuz , der Wodansrune, bis das Blut an seinem Körper hinablief. Das heilige Mal des Asen musste genügen, obwohl eigentlich auch das Scheinhängen dazugehörte. Es war üblich, sich die Nacht vor der Schlacht mit Weidensträngen um den Hals aufzuhängen und Hunger, Durst und Schmerz zu ertragen. Nun, dazu war keine Zeit. Hagen legte den Speer beiseite und begann systematisch, seine Haut mit Runen zu bemalen, vor allem mit tiwaz , der Siegesrune. Er verwendete sein eigenes Blut dafür. Die Schicksalsrunen in seinen Handflächen fraßen sich durch seine Knochen, doch er ignorierte den Schmerz und überdeckte sie mit blutigen ansuz -Runen.
    Inzwischen war der Trank heiß genug, dass er ihn vom Feuer nehmen konnte. Er goss die Flüssigkeit in einen Kelch, der ins Gras gerollt war, als sie die Tische zu Scheiterhaufen verarbeitet hatten, hielt ihn über seinen Kopf, Wodans Zustimmung erbittend, setzte ihn an die Lippen und leerte ihn in einem Zug. Dann nahm er das Wolfsfell, das so oft Gegenstand scheuer Blicke gewesen war, und hängte es sich um die Schultern, um seine Seele mit dem des grauen Jägers zu mischen und das Heil und das megin des Wolfes für den kommenden Kampf zu benutzen. Schließlich setzte er sich mit gekreuzten Beinen zu Boden und wartete.
    Bald schon begann der Trank zu wirken. Ein Kältegefühl stellte sich ein, seine Zähne klapperten. Hagen begann wieder den archaischen Gesang. Er konnte spüren, wie sein Gesicht

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