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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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anschwoll. Aus früheren Erfahrungen wusste er, dass die beginnende Hitze sich auch dadurch zeigte, dass seine Haut sich rötete. Ein Zittern überlief ihn. Er spürte Wodans Ekstase, spürte das Verlangen, sich auf die Erde zu werfen, um sich zu schlagen, in irgendetwas hineinzubeißen, aber er bezähmte sich. Noch war es nicht so weit.
    Sein Gesang veränderte sich, wurde zu einem Knurren. Hagens Persönlichkeit löste sich auf. Unter dem Einfluss des Trankes erlebte er das Ritual als Verwandlung. Er fühlte, wie ihm ein Fell wuchs, wie Hände und Füße sich zu Klauen verformten, Reißzähne hervorbrachen. Seine Sinne schärften sich. Mit einem Male roch die Luft nach Angstschweiß und Gewalt und machte ihn toll.
     
    Nachdem er sich lange hin und her gewälzt hatte, fasste Gislher einen Entschluss. Aller Voraussicht nach würde dies seine letzte Nacht sein, und er hatte alle Menschen verloren, die ihm etwas bedeuteten. Hagen und er würden bald schon Seite an Seite kämpfen und sterben, und was auch geschehen war, was immer zu diesem Tag hingeführt hatte, er wollte nicht, dass Unversöhnlichkeit ihre letzten Augenblicke bestimmte. Seine Augen suchten die einsame Gestalt am verlöschenden Feuer an der Ostmauer, und er verspürte so etwas wie Mitleid mit dem Ausgestoßenen, der in keiner Welt zu Hause war.
    Beherzt erhob er sich und ging zu ihm hinüber. Bis auf drei Schritte war er herangekommen, als er bemerkte, dass der Waffenmeister nackt und voller Blut war und sich zu knurrenden Tönen hin und her wiegte. Erstarrt blieb er stehen. Hagen riss den Kopf herum und funkelte ihn an, Schaum vor dem Mund. Gislher sah das Weiße in seinem Auge. » Berserkr! « Furchtsam sprach er das entsetzliche Wort aus. Hagens Auge sah durch ihn hindurch. Er erkannte weder ihn noch sonst jemanden im Garten.
    Zitternd wich Gislher zurück. Ein-, zweimal hatte er erlebt, wie Berserker auf dem Schlachtfeld eingesetzt wurden, und immer hatten sie eine durch nichts zu rechtfertigende Verheerung angerichtet. Ihr Blutdurst war unersättlich. Ein Mannwolf, der sich der Seele des grauen Jägers überließ, hatte in den seltensten Fällen die Kraft, seine eigene Seele wiederzufinden. Gislher kannte den Waffenmeister als furchtlosen Kämpfer, als unbarmherzigen Krieger, sogar als gnadenlosen Schlächter, aber dies hier war anders. Dies war jenseits all dessen, wozu Menschen fähig sein sollten. Rückwärts entfernte er sich von dem Verwandelten, und als ihm der Abstand groß genug erschien, warf er sich herum und floh.
    Hagens Zähne knirschten, seine Kiefer schnappten aufeinander. Noch immer stieg ein Knurren aus seiner Kehle. Mit blutunterlaufenem Auge starrte er in das niederbrennende Feuer. Eine rudimentäre Erinnerung überkam ihn und zwang ihn, in die Flammen zu greifen. Er spürte die sengende Hitze nicht. Mit bloßen Händen wählte er ein halbverkohltes Holzscheit aus und zog es aus der Glut, ohne eine Verletzung davonzutragen. Ekstase erfasste ihn. Er hatte die Flammenprobe bestanden! Von nun an war er unempfindlich gegen Schmerz. Unbesiegbar. Der Drang, seinen verborgensten Leidenschaften nachzugeben, war unwiderstehlich. Mit beiden Händen hielt er das schwelende Holz und reckte es in die Höhe, damit Wodan sein Werk weihen konnte. Der runde Mond weckte etwas in ihm, ein mächtiges Verlangen, eine Sehnsucht. Hagen entfesselte das Tier in sich. Wehe seinen Feinden! Wehe! Triumphierend schleuderte er dem Himmel ein Wolfsheulen entgegen.
    Den Männern, die es hörten, gefror das Blut in den Adern. Die Hunen und Friesen draußen vor dem Garten rückten dichter zusammen oder verriegelten die Häuser. Hunde zogen ihren Schwanz ein und flohen in den nahen Wald.
    Wieder heulte Hagen, und mit jedem Schrei glitt er tiefer in die Ekstase. Mit jedem Schrei verlor er mehr von dem, was noch menschlich an ihm war. Wut! Wut! Er ließ sie losbrechen aus seinem Inneren. Wut! Aus den wilden Tönen wurde ein einziger, lang gezogener Schrei. Der Fahle in seinem Inneren war frei.
     
    Grimhild erzitterte in ihrer Kammer und zog die Decke fester um ihre Schultern. Sie wusste, wer da heulte. Und nach wessen Blut er lechzte.

Die Leere zwischen den Sternen
1
    Von gelegentlichen Scharmützeln am Tor abgesehen, war die Nacht ruhig verlaufen. Hin und wieder tauchte ein Hune in sicherer Entfernung auf, um seine Feinde zu schmähen und zu einer unbesonnenen Tat zu verleiten, aber keiner der Niflungen tat ihm den Gefallen. Schweigend trafen Gunters

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