Der Ruf des Satyrs
Korb fallen, den sie die ganze Zeit über festgehalten hatte, ohne es überhaupt zu bemerken. Einige Oliven kullerten heraus auf den Marmorboden.
Serafina hob ihn auf. »Wie nett von dir, uns die Arbeit abzunehmen!«, sagte sie mit einem Blick auf die Oliven, die Eva gesammelt hatte. Sie nickte ihrem Sohn zu und wies mit dem Kinn auf den Eingang zum Tunnel, woraufhin er sie beide trotz ihres Widerstandes durch die Mosaiktür zerrte. Sobald sie sich in dem kühlen düsteren Tunnel befanden, ließ er Eva los, blockierte jedoch den Fluchtweg. Als hätte sie Mimi allein ihrem Schicksal überlassen, wie auch immer das aussehen mochte! Er hob Mimi auf seinen Arm außer Evas Reichweite, holte etwas aus seiner Tasche und hielt es dem Mädchen unter die Nase, das daraufhin aufhörte, sich zu wehren.
»Was ist das?«, wollte Eva wissen und versetzte ihm einen Stoß. »Gib sie mir! Was habt ihr mit uns vor?«
Gaetano warf sich Mimis nun schlaffen Körper über die Schulter und schüttelte den Kopf. »Sie ist zu schwer für dich. Ich habe ihr nur etwas zur Beruhigung gegeben. Wir werden euch nicht weh tun.« Doch Eva wusste, dass er log. Sein starrer Blick, der ihr einst so harmlos erschienen war, weckte nun den Wunsch in ihr, sich davon zu säubern.
Sie sah kurz durch die Tür hinter ihm, die Serafina gerade schloss. Kein Zeichen von Lena. Braves Mädchen! Sie war in ihrem Versteck geblieben. Misstrauisch folgte Gaetano Evas Blick. Mit seiner freien Hand hob er eine der Gaslaternen auf, die er und seine Mutter direkt hier drinnen abgestellt haben mussten.
»Nimm nicht Mimi!«, flehte sie und lenkte damit seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Lass sie gehen, und nimm nur mich! Ich werde alles tun, was du willst. Bitte!«
Seine Aura sprang sie förmlich an, und seine Augen flackerten. Er wollte sie noch immer. Vielleicht konnte sie das zu ihrem Vorteil nutzen. Wenn sie lange genug am Leben blieb.
»Versuch deine Tricks erst gar nicht bei ihm! Er verhält sich seiner Familie gegenüber loyal.« Serafina nahm die zweite Laterne, nachdem sie die Tür fest verschlossen hatte. »Gehen wir!«
»Wohin?«
Serafina lächelte geziert. »Nun, zu dem Spielzimmer, nach dem dein Mädchen so deutlich verlangt hat.« Damit drehte sie sich um und schritt mit hoch erhobener Laterne voran. Eva konnte Gaetanos begehrliches Starren förmlich spüren, als er hinter ihr herlief.
Und sie spürte etwas in ihrer Tasche. Fantines Tagebuch.
Nach einem Marsch, der ihr kilometerlang erschien, kamen sie aus dem Tunnel in einen geräumigen kreisförmigen Raum mit einer kleinen erhöhten Plattform in der Mitte. Serafina hängte die Laterne an eine Halterung neben einige andere, die bereits brannten, und stellte den Korb mit den Oliven auf einen kleinen Tisch. Schnell zog Eva die schlaff herabhängende Mimi von ihrem Entführer weg und setzte sich auf die Plattform, wo sie Mimi fest auf ihrem Schoß hielt und sie sanft hin und her schaukelte. Bevor das Mädchen aus der Betäubung erwachte, war an Flucht nicht zu denken, denn mit dem Kind in den Armen würde Eva nicht schnell genug laufen können.
Als ihre Augen sich an das hellere Licht hier gewöhnt hatten, sah sie, dass vom Hauptraum aus zahlreiche Räume abzweigten. Durch eine offene Tür erspähte sie eine junge Frau von etwa sechzehn Jahren, die auf einem Stuhl saß. Ihr Gesichtsausdruck war friedlich, und sie hatte den leeren Blick von jemandem, der unter Drogen stand. Ein älterer blinder Mann kniete neben ihr. Das Mädchen stöhnte auf, als ein schalenartiges Gerät grob von ihrer Brust entfernt wurde und dort eine dünne rote, kreisrunde Wundlinie hinterließ. Danach wurde die Schale kurzerhand an ihrer anderen Brust befestigt, woraufhin sie erneut aufstöhnte.
»Halt! Was macht er da mit ihr?« Eva wollte auf die beiden zulaufen, doch dann hielt sie abrupt inne, denn sie fürchtete, dass Gaetano und Serafina sich Mimi schnappen würden, wenn sie sich von ihr entfernte.
»Das ist unser Neuzugang: Nella, eine Fee«, antwortete Serafina unbekümmert. Also hatte Dane recht gehabt. Diese Frau wusste über ihre Welt Bescheid! »Armes Ding«, fuhr Serafina fort. »Brüste voller Muttermilch und kein Kind, das sie nähren könnte. Sergio pumpt nur ihre Milch ab. Wir nutzen sie als Zutat für unsere verjüngende Gesichtscreme, die wir für fünfzig Lire pro Gramm verkaufen. Alexa hat dir erst kürzlich etwas davon mitgebracht, nicht wahr?«
»Aber das ist unrecht! Ein Verbrechen!«, rief Eva
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