Der Ruf des Satyrs
aus, die kaum glauben konnte, was sie da hörte. Sie war unendlich froh darüber, dass sie das Tiegelchen nie geöffnet hatte.
»Dieser missbilligende Gesichtsausdruck wird dir noch Falten im Gesicht bescheren«, warnte Serafina.
Falten? War diese Frau denn wahnsinnig? »Weiß Alexa davon?«, wollte Eva wissen.
»Alexa?«, stieß Gaetano hervor und warf seiner Mutter einen hasserfüllten Blick zu. »Nein, meine liebe Schwester hat gestern eine plötzliche und dringende Abneigung gegen Rom entwickelt, ihre Koffer gepackt und sich auf Verwandtenbesuch nach Venedig begeben.«
»Ich werde ihnen heute Nachmittag schreiben«, sagte Serafina scharf, und Eva spürte die Spannung zwischen ihnen. Sie fragte sich, ob sie das nutzen konnte, um einen Keil zwischen sie zu treiben. »Sie werden sie nach Hause schicken.«
»Euch sollte man einsperren, nicht dieses Mädchen!«, schrie Eva, unfähig, ihre Abscheu zu verbergen.
Verärgert kam Serafina näher und beugte sich etwas vor, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Wie alt sehe ich für dich aus?« Hinter ihr verdrehte Gaetano genervt die Augen.
Eva starrte sie nur an. »Was soll das?«
»Ich bin achtundvierzig«, beantwortete sie ihre Frage mit albernem Stolz selbst.
Wenngleich Serafina weit jünger aussah, weigerte Eva sich, beeindruckt zu erscheinen.
»Das Mädchen dort drin erweist uns einen großen Dienst, so wie die anderen auch«, sprach Serafina weiter und machte eine ausladende Handbewegung in Richtung der anderen Türen. »Ihre Spenden an Muttermilch, Samen, Tränen – selbst ihr Blut und Urin sind in begrenztem Umfang nützlich – versprechen Tausenden unserer alternden Kunden dauerhafte Jugend.«
Hinter diesen Türen gab es noch andere wie dieses arme Mädchen? Das war zu schrecklich, um es sich vorzustellen! Eva musste um jeden Preis verhindern, selbst in einen dieser Räume gesperrt zu werden. Sie musste die beiden dazu bringen, weiterzureden, bis ihr ein Plan einfiel, der ihr die Flucht mit Mimi ermöglichen würde. »Woher wisst ihr von uns – von unserer Welt?«
»Einer meiner Vorfahren in der Antike, Faunus, hatte eine Liebschaft mit einer Frau aus der Anderwelt. Sie starb bei der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter. Und durch diese Tochter hat meine Familie die Verwendungsmöglichkeiten von euresgleichen entdeckt.« Serafina lächelte. »Damals in jenen Tagen mussten sich die wohlhabenden Damen in Rom mit Kohle, Safran, Kalk und Blei in ihren Kosmetika behelfen. Ist das zu glauben?« Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Doch mit Hilfe der Flüssigkeiten, die die Tochter von Faunus lieferte, ersannen meine Ahnen mütterlicherseits neue kosmetische Rezepte. Und die Frauen im alten Rom stürzten sich auf unsere außergewöhnlichen Angebote, die ihre Haut glätteten, dünnes Haar wieder voller werden ließen und sie jung hielten. Wir wurden reich damit, aber wir vergaßen nie unsere bescheidenen Anfänge. Unsere Produkte benannten wir nach der Tochter des Faunus, die uns so sehr bei unseren Entdeckungen geholfen hatte: Bona Dea. Dankbare Frauen verehrten sie als Göttin und strömten zu ihren Tempeln, um dort behandelt zu werden, so begierig, dass sie die Arbeitsweise unseres Unternehmens einfach ignorierten. Und heute ist es ganz ähnlich.«
»Bona Dea.« Die Worte Daniels! Evas Augen weiteten sich, als sich plötzlich alles zusammenfügte. »Sie haben Dane und seinen Bruder vor all diesen Jahren entführt, nicht wahr? Und sie hierhergebracht.«
Gaetano brach sein düsteres Schweigen, indem er einen verärgerten Laut von sich gab.
»Sei nicht eifersüchtig, Tano!«, schalt Serafina. »Jetzt hast du sie ja.« Doch ihr Sohn schien nicht besänftigt. Er schnappte sich irgendwelche Schlüssel und öffnete eine weitere Tür, hinter der ein junger Mann zum Vorschein kam. Seine Züge waren hübsch, sein Haar war dunkel und hing ihm in langen Strähnen über den Rücken. Er erhob sich unsicher, und sie sah, dass er nur einen Lendenschurz aus Leintuch trug. Langsam wandte er ihnen das Gesicht zu und öffnete blinzelnd die Augen. Sie waren silbern! Wie bei Dane. Oh, Götter, konnte es sein – war das etwa …
»Lucien?«, rief Eva mit bebender Stimme. Sein Kopf fuhr herum, und sein Blick richtete sich mit etwas mehr Klarheit auf sie, so, als hätte er seinen Namen erkannt. »Du bist es, nicht wahr? Dane und deine Brüder, sie suchen noch immer nach dir! Sie haben nicht aufgegeben! Sie lieben dich.«
Seine Augen waren auf sie gerichtet, aufmerksam
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