Der Ruul-Konflikt 3: In dunkelster Stunde
einen Fingerbreit vor ihrem Sieg gestanden. Nur ein Fingerbreit. Wenn sie nur ein oder zwei Schiffe mehr zur Verfügung gehabt hätten, wäre es ihnen gelungen, den Jägerangriff abzuwehren und das wehrlose ruulanische Flaggschiff abzuschießen. Nur ein oder zwei Schiffe hatten letztendlich über Sieg oder Niederlage entschieden.
Apropos Sieg oder Niederlage. Die Rede, die er vorbereitet hatte, handelte genau von diesem Thema. Die Menschen hatten zwar nicht gesiegt, aber verloren hatten sie auch nicht, wie die Worte eindrucksvoll beweisen würden, die er nun an den Rat richten wollte.
»Die Kommandeure der Armeen und Flotten des Volkes haben mich kontaktiert. Sie wollen wissen, wie es jetzt weitergeht. Was soll ich ihnen sagen?«
»Das wirst du gleich wissen, Setral. Warte einfach ab.«
»Mein Herr«, sagte Setral respektvoll.
»Ja?«
»Noch eine Sache. Die Erel`kai versichern euch uneingeschränkter Loyalität.«
»Alle Erel`kai?« Kerrelak warf Setral einen prüfenden Blick aus dem Augenwinkel zu. Doch dieser lächelte nur gelassen.
»Alle Erel`kai, mein Herr.«
»Ich bin zufrieden«, antwortete Kerrelak und war selbst erstaunt, dass es wirklich der Wahrheit entsprach. Er war tatsächlich rundum zufrieden. Er, Spross einer kleinen Familie und eines unbedeutenden Stammes, stand nun hier, an der Spitze der Ruul. Und alle Ältesten und Patriarchen verneigten sich in Ehrfurcht vor ihm. Sofern sie noch lebten, natürlich. Er kicherte still in sich hinein.
Nestarr räusperte sich. Kerrelak rief sich zur Ordnung. Es wurde Zeit. Er bemühte sich um eine neutrale Miene und stand auf. Die Augen aller Ältesten und Patriarchen auf sich gerichtet.
»Älteste und Patriarchen des ruulanischen Volkes«, begann er seine Rede und ließ den Blick über die Versammelten schweifen. »Eine schwere Zeit liegt nun hinter uns. Unser Volk wurde auf schlimmste Art und Weise geprüft. Die Besten unseres Volkes mussten in unzähligen Schlachten ihr Leben lassen. Nicht einmal hier, an einem Ort, der sicher sein sollte, konnten wir uns geborgen fühlen. Der Feind hat uns hier aufgestört, drang in unser Allerheiligstes ein und ermordete viele unserer Führer. Allen voran den guten Orros.«
Eine Lüge, an die niemand in der Kammer auch nur eine Sekunde glaubte. Doch keiner wagte es, dagegen zu protestieren. Kerrelaks Verbündete kicherten nur und die ehemaligen Anhänger Orros’ warfen nur einen kurzen Blick auf die Galerien, wo kampfbereite Erel`kai die Szene gespannt beobachteten, um jeden aufkommenden Trotz im Keim zu ersticken. Geschichte wurde immer von Siegern geschrieben. Das war bei allen Rassen so und würde sich in nächster Zukunft wohl auch nicht ändern.
»Ich will aber nicht verschweigen, dass schwerwiegende Fehler des ehemaligen Kriegsmeisters dazu geführt haben, dass wir uns nun in dieser Lage befinden. Mich haben Nachrichten erreicht, denen zufolge der Vorstoß unserer Truppen in drei Systemen der nestral`avac gestoppt wurde. Unzählige Leben gingen beim Sturm auf die Verteidigungsstellungen des Gegners verloren. Unzählige Schiffe wurden zerstört. Schaden, der fast nicht wieder gut zu machen ist.« Ein Raunen ging durch die Menge, als der Grundtenor von Kerrelaks Rede langsam offenkundig wurde.
»Deshalb habe ich als neuer Kriegsmeister eine schwere Entscheidung gefällt. Wir werden unseren Vormarsch vorläufig einstellen.«
Ein Sturm der Entrüstung brach los. Selbst bei Kerrelaks Verbündeten. Den Kampf einstellen, solange der Gegner noch nicht besiegt war? Undenkbar. Die Erel`kai auf den Galerien bewegten sich unruhig.
Kerrelak hob beschwichtigend seine Hände. Mit dieser Reaktion hatte er gerechnet. »Bitte. Bitte beruhigt euch und hört weiter zu. Wir werden den Kampf vorläufig einstellen.«
»Du meinst fliehen«, rief ein besonders mutiger Patriarch. Kerrelak erkannte in ihm einen ehemaligen verbissenen Anhänger Orros’.
»Nicht fliehen. Uns auf sichere Positionen zurückziehen. Die eigene Strategie überdenken. Wir haben uns blindlings in ein Abenteuer gestürzt, das Tod und Leid über uns gebracht hat. Wir dachten, wir könnten die nestral`avac durch bloße Brutalität und Übermacht in die Knie zwingen.«
»Das können wir immer noch.«
»Ja, das könnten wir immer noch. Doch zu welchem Preis? Wenn wir auf diese Art weiterkämpfen, werden am Ende so viele unserer Schiffe und Krieger verloren sein, dass keine Seite einen Sieg für sich beanspruchen kann, der diesen Begriff überhaupt wert ist.
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