Der Safe mit dem Rätselschloß.
Gesicht zum andern und verriet, abgesehen von ihrer Blässe, mit keinem Zeichen ihre Furcht.
Obwohl sie es nicht wissen konnte, hatte sie eine außerordentliche Bevorzugung erfahren: Durch einen reinen Zufall war sie vor die › Stadtbande ‹ gelangt. Dies ist kein sehr großartiger Name für eine organisierte Verbrecherbande, aber organisierte Verbrecher legen sich nicht immer charakteristische oder hochtrabende Namen bei. Auch die Polizei bezeichnete die hier Versammelten meistens als › Stadtbande ‹ .
Als Kathleen von ihrem Begleiter ins Zimmer gestoßen wurde, verstummte sofort ein gedämpftes Stimmengewirr, und sie wurde zum Brennpunkt von neun kalten Augenpaaren, die sie ungerührt betrachteten.
Als sie die Stimmen gehört hatte, als sie den ersten raschen Blick durchs Zimmer warf und den Typus der sie anstarrenden Gesichter erkannte, hatte sie sich auf einen Ausbruch roher Späße gefaßt gemacht. Sie fürchtete - sie wußte nicht, was sie fürchtete. Sonderbar genug: Die Totenstille, die sie empfing, machte ihr Mut, das kalte Anstarren der Minner gab ihr Kraft. Nur einer verlor die Fassung: Mit einem halblaut gemurmelten Fluch war ein großer schwerer Mensch aufgesprungen, der in der einen Ecke gesessen und mit gesenktem Kopf aufmerksam einem kleinen Mann zugehört hatte.
»Hinauf!« brüllte er und sagte dann so heftig ein paar Worte in einer fremden Sprache, daß der Mann, der das Mädchen am Arm hielt, schreckensbleich nach rückwärts taumelte.
»Ich - ich«, stammelte er flehend, »ich hatte es nicht richtig verstanden.«
Mit wutverzerrtem Gesicht zeigte der Große auf die Tür, und diese hastig aufreißend, zog ihr Begleiter das bestürzte Mädchen ins Dunkel des Treppenhauses hinaus.
»Hier hinauf!« murmelte er; sie konnte das Zittern seiner Hand fühlen, als er eine zweite Treppe hinaufstolperte, ohne auch nur einen Augenblick ihren Arm loszulassen. »Mucken Sie sich nicht, sonst ergeht’s Ihnen übel. Sie sehen ja, wie’s mir ergangen ist, weil ich Sie ins falsche Zimmer geführt habe. Oh, ein Teufel ist der Connor - der Smith, wollte ich sagen. Smith heißt er, verstehen Sie mich?« Er schüttelte sie grob. Offensichtlich war der Mann ganz außer sich vor Angst. Was der Große Entsetzliches gesagt hatte, konnte Kathleen nicht beurteilen. Sie war selber halbtot vor Schrecken. Die unheimlichen Gesichter dieser Männer, die geheimnisvolle Versammlung in dem dichtgeschlossenen Haus, ihre Entführung - das alles war fast zuviel für sie.
Ihr Führer schloß eine Tür auf und stieß sie in ein Zimmer. Auf dem gedeckten Tisch stand Essen bereit.
Die Tür fiel hinter ihr zu, und ein Riegel wurde vorgeschoben. Wie im unteren Zimmer war auch hier alles Tageslicht durch einen Vorhang ferngehalten. Ihr erster Gedanke war Flucht. Sie wartete, bis die Fußtritte auf der wackeligen Treppe verklungen waren, dann ging sie rasch durch das Zimmer. Der Sprung aus dem Fenster konnte nicht sehr hoch sein; sie wollte ihn wagen. Sie zog den Vorhang beiseite. An der Stelle des Fensters befand sich eine Stahlplatte, die dem Fensterrahmen aufgeschraubt war. Irgend jemand hatte ihren Entschluß, durchs Fenster zu fliehen, vorausgesehen. Von ungeübter Hand war mit Kreide folgende Botschaft aufgeschrieben:
Es geschieht Sie nix, wenn Sie fernünftig sin. Wir möchten ferschiedenes wissen, dann lassen wir Ihnen gehn. Machen Sie kein Krach, sonst gehts Ihnen schlecht.
Ferhalten Sie sich still und sagen Sie uns, was wir wissen wollen, dann lassen wir Ihnen frei.
Was hatten die Männer zu fragen, oder was konnte sie antworten? Sie hatte keine Ahnung, was sie von ihr wissen wollten. Wer waren diese Männer, die sie gefangenhielten? Immer und immer wieder stellte sie sich diese Fragen während der nächsten Stunden. Beinahe ohnmächtig wurde sie vor Hunger und Durst, aber die Speisen auf dem Tisch rührte sie nicht an. Das Geheimnisvolle ihrer Entführung bestürzte sie. Welchen Wert konnte sie für diese Männer haben? Das Stimmengemurmel in dem unteren Zimmer hörte nicht auf. Ein paarmal übertönte eine laute, ärgerliche Stimme die übrigen. Einmal schlug eine Tür zu, und Kathleen hörte, wie jemand lärmend die Treppe hinunterging. Es mußte ein Portier vorhanden sein, denn sie hörte ihn mit dem Hinausgehenden reden.
Sie wußte freilich nicht, daß die gleiche Frage, die sie so verwirrte, an diesem Abend auch anderen im Haus Kopfzerbrechen machte.
Die berüchtigten Verbrecher, die Kathleen gesehen hatte,
Weitere Kostenlose Bücher