Der Safe mit dem Rätselschloß.
ausgehändigten Zettel gelesen hatten.
»Die Zettel, die ich Ihnen übergeben habe, sind Fotokopien des Originals, das jederzeit in meinem Büro eingesehen werden kann.«
In größter Bestürzung sprach das Mädchen den Vers vor sich hin. »Nie und nimmer krieg ich das heraus«, sagte sie.
Behutsam nahm ihr Angel den Zettel aus der Hand.
»Versuchen Sie es jetzt nicht«, sagte er freundlich. »Sie haben reichlich Zeit. Ich glaube nicht, daß Ihre Mitbewerber etwas gewonnen haben durch den Vorsprung, den sie sich zu verschaffen wußten. Auch ich besitze seit acht Tagen eine Abschrift des Verses.«
Die Augen des Mädchens weiteten sich vor Staunen. »Sie?« Angels Erklärung wurde durch eine sonderbare Begebenheit abgeschnitten.
Connor saß an dem einen Ende der Stuhlreihe, mißmutig auf seinen Zettel blickend; Jimmy am anderen Ende strich sich nachdenklich den Bart; plötzlich stand er auf und ging zu seinem grübelnden Genossen. Der wich zurück, als der andere näher kam, aber Jimmy setzte sich neben ihn und flüsterte ihm leise etwas ins Ohr. Er sprach rasch, und Angel, der sie scharf beobachtete, sah, wie ein Ausdruck ungläubiger Überraschung auf Connors Gesicht erschien; dann mischte sich Wut in die Ungläubigkeit, und Connor sprang auf; mit der Faust hieb er auf die Stuhllehne.
»Was?« brüllte er. »Die Aussicht auf ein Vermögen aufgeben? Da möchte ich doch sehen -«
Jimmys Stimme wurde nicht lauter, aber er packte Connor am Arm und zog ihn auf seinen Stuhl zurück.
»Fällt mir nicht ein! Fällt mir nicht ein! Bildest du dir ein, ich schmeiße ein Vermögen weg - «
Jimmy ließ den Mann los und stand achselzuckend auf.
Er ging hinüber zu Kathleen.
»Fräulein Kent«, sagte er zögernd, »es fällt mir nicht leicht zu sagen, was ich zu sagen habe; aber ich möchte Ihnen mitteilen, daß, soviel an mir liegt, das Geld Ihnen gehört. Ich erhebe keinen Anspruch darauf und werde Ihnen in jeder Weise helfen, soweit es in meiner Macht liegt, das versteckte Wort aus dem Vers herauszufinden.«
Das Mädchen erwiderte nichts. Ihre Lippen waren fest aufeinandergepreßt, und es kam wieder jener harte Blick in ihre Augen, den Angel bemerkt hatte, als der Anwalt ihren Vater erwähnte.
Jimmy wartete einen Augenblick auf ihre Antwort, aber sie rührte sich nicht, und mit einer leichten Verbeugung ging er zur Tür.
»Bleiben Sie!«
Es war Kathleen, die gesprochen hatte; Jimmy drehte sich um und wartete.
»Wenn ich dieses Testament richtig verstehe«, sagte sie langsam, »so sind Sie einer der Männer, denen mein Vater seinen Ruin verdankt.«
Fest begegnete sein Blick dem ihren. »Ja«, sagte er einfach.
»Einer der Männer, dem ich für jahrelanges Elend und Leid zu danken habe«, fuhr sie fort. »Als ich sah, wie es mit meinem Vater langsam bergab ging, wie er, ein gebrochener Mann, von dem Bewußtsein gequält wurde, daß seine Torheit Frau und Kind in Armut gebracht hatte; als ich meinen Vater sterben sah, an Leib und Seele gebrochen durch sein Unglück, da dachte ich niemals, daß ich dem Manne je begegnen würde, der seinen Ruin verursachte.«
Noch immer wandte Jimmy seine Augen nicht ab. Unerschüttert in seiner Ruhe, gleichmütig und unbewegt, lauschte er der bitteren Anklage.
»In diesem Testament steht, daß Sie ein Mann aus den Kreisen meines Vaters waren, einer, der alle Tricks kennt, durch die ein vornehmer, einfacher Mensch mit einem kindlichen Glauben an Männer wie Sie sich in Versuchung führen läßt.«
Jimmy erwiderte nichts, und das Mädchen fuhr mit beißendem Hohn fort:
»Vor ein paar Tagen halfen Sie mir, aus den Händen von Männern zu entfliehen, die Sie mir mit hochmütiger Überlegenheit als Diebe und Erpresser vorstellten. Daß Sie es waren, der mir diesen Dienst erwies, werde ich bis an mein Lebensende bedauern. Sie! Sie! Sie…!«
Das Mädchen machte eine verächtliche Handbewegung. »Wenn die anderen Diebe waren, was sind dann Sie? Der Spitzel eines Spielhöllenbesitzers, sein Lockvogel? Ein Lump, der die Schwächen seiner unglücklichen Mitmenschen ausbeutet?« Sie wandte sich an Connor.
»Hätte mir dieser Mann seine Hilfe angeboten - ich hätte sie vielleicht angenommen. Hätte er mir angeboten, seinen Anspruch auf das Geld aufzugeben -, sein Edelmut hätte mir vielleicht Eindruck gemacht. Von Ihnen, dem Gott Vorrechte der Geburt und der Erziehung gegeben hat und der sie benützte, um Männer wie meinen Vater in Not und Elend zu stürzen, von Ihnen ist dieses
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