Der Safe mit dem Rätselschloß.
Granitwürfel empor.
»Es hat Gott dem Allmächtigen in seiner großen Gnade gefallen, die Seele unseres lieben verstorbenen Bruders zu sich zu nehmen …«
Die Kelle des Maurers kratzte an den Rändern der Hö h-lung entlang, der Steinblock wurde hineingezwängt, bis er in einer Ebene mit der Fläche des Postaments lag. Auf dem Stein waren vier Worte eingemeißelt:
Pulvis cinis et nihil.
Erst als die Arbeiter gegangen waren, während der Anwalt an der Tür den Priester nach Erfüllung seiner seltsamen Pflicht verabschiedete, ging Angel zu Jimmys Stuhl hinüber.
Er fing Jimmys grimmiges Lächeln auf und hob den Blick zu der Stelle, wo nun Reales Überreste ruhten. »Latein?« fragte Angel.
»Überraschend, nicht wahr?« meinte der andere ruhig. »Reale hatte mancherlei gesehen, müssen Sie wissen. Ein Mann, der viel reist, sammelt Kenntnisse.« Er nickte nach dem Epitaph hinauf. »Auf den Gedanken da ist er in Toledo gekommen, im Dom dort; kennen Sie ihn? Ich habe es ihm übersetzen müssen. Der Satz gefiel ihm. Während ich so hier saß und diesem sonderbaren Leichenbegängnis zusah, fragte ich mich, ob wohl › pulvis cinis et nihil ‹ - Staub, Asche und nichts - auftauchen würde.«
Spedding kam geräuschvoll zurück. Die Arbeiter waren verschwunden, die äußere Tür war geschlossen, und der Schutzmann hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen, das vom Vestibül aus zugänglich war. Spedding hielt einen Stoß Papiere in der Hand. Er setzte sich auf einen Stuhl, mit dem Rücken gegen das granitene Postament, und verlor keine Zeit mit nutzlosen Vorbereitungen.
»Ich habe hier das Testament des verstorbenen James Ryan Reale«, begann er. »Der Inhalt dieses Testaments ist allen Anwesenden bekannt, mit Ausnahme von Fräulein Kent.« Er verfügte über einen eigentümlichen trockenen Humor, dieser Rechtsanwalt, wie seine nächsten Worte bewiesen. »Vor einer Woche wurde ein sehr geschickter Einbruch in mein Büro verübt: Der Geldschrank wurde aufgebrochen, ein Fach gewaltsam geöffnet und meine Akten durchsucht. Ich muß meinem Besucher Gerechtigkeit widerfahren lassen« - er machte eine leichte Verbeugung erst in Richtung nach Connor, dann nach Jimmy hin -, »und sagen, daß nichts genommen und kaum etwas in Unordnung gebracht wurde. Es waren genügend Beweise vorhanden, daß der Zweck des Einbruchs ganz allein darin bestand, dieses Testament zu Gesicht zu bekommen.«
Jimmy zeigte sich keineswegs beunruhigt über die kaum verschleierte Anspielung und bewegte sich nur, um in seinem Stuhl eine bequemere Lage einzunehmen. Nicht einmal die entsetzten Augen des jungen Mädchens, die ihn flehend anschauten, bereiteten ihm irgendein sichtliches Unbehagen.
»Fahren Sie fort«, sagte er, denn der Anwalt hatte eine Pause gemacht, als warte er auf ein Zugeständnis. Jimmy war stillvergnügt; er wußte jetzt ganz genau, wer dieser rücksichtsvolle Einbrecher war.
»Durch Abschreiben des Testaments hat sich der - oder die - Einbrecher einen ungerechten Vorteil vor dem - oder den - anderen Erben zu verschaffen gewußt.«
Das steife Papier knisterte laut, als der Anwalt das Dokument entfaltete.
»Ich werde Ihnen zunächst das Testament formell vorlesen und danach einige Erklärungen geben für diejenigen unter Ihnen, die solche Erklärungen nötig haben«, fuhr Spedding fort.
Das Mädchen horchte auf, als der Anwalt zu lesen begann. Trotz der juristischen Fachausdrücke, der endlosen Wiederholungen und des verworrenen Wortschwalls wurde ihr bald klar, daß dieser Letzte Wille des alten Reale etwas ganz Ungewöhnliches darstellte. Es war die Rede von Häusern und Gütern, von Grundstücken und Obligationen. »…und meinen übrigen Besitztümern ohne jede Ausnahme«, die irgend jemandem zufallen sollten. Wem eigentlich, das konnte sie nicht herausfinden. Einmal glaubte sie, sie selbst sei gemeint, denn es hieß »an Herrn Francis Corydon Kent oder seine Erben«; ein andermal klang es, als solle der Erbe des riesigen Vermögens »James Cavendish Fairfax Stannard, Baronet des Vereinigten Königreichs Großbritannien« sein. Sie fragte sich, ob das wohl Jimmy wäre, und erinnerte sich dunkel, gehört zu haben, daß der neunte Baronet dieses Namens eine Persönlichkeit fragwürdigen Charakters sei. Dann wieder schien es ihr, als ob »Patrick George Connor« der Erbe sein solle. Von einem Knüttelvers war in dem Testament die Rede, den der Anwalt rasch herunterleierte, und von einem großen Safe; dann kam der Jurist zum
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