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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Grobians, Anserines, Kleinschmidts und Thalamusse, nur Berühmtheiten und gesalbte Häupter, jetzt aber sehe sie, dass auch ein Laufburschentum existierte – und betrachtete sie Ruth etwa als Teil davon? So wie auch sich selbst? Ruth spürte, wie ihre Ohren sich röteten.
    Brie beendete ihren Gedanken nicht. Sie quietschte etwas Unverständliches, dem sie ein »Ach, Ruthie, es ist so schön, dich hier zu treffen« folgen ließ. Nach einer zweiten obligatorischen Umarmung, die weniger inbrünstig als die erste ausfiel, führte Ruth Brie zur Cocktailparty in den Salon.
    An der Bar stellte Ruth sie Sandy, Regina, Ina und Bob vor, die nacheinander mit dermaßen ehrfürchtigen und demütigen Blicken bedacht wurden, als wären sie Jerome D. Salinger, Louise Nevelson, Eudora Welty und John Ashbery. Sie alle wurden – sowohl als Gruppe wie auch einzeln – von Brie über die unbedeutendsten und banalsten Details ihrer Lebensgeschichte ausgefragt, und zu allem Überfluss endete sie mit der absoluten Tabu-Frage: »Und woran arbeiten Sie im Moment?«
    Ruth lächelte dabei die ganze Zeit gelassen, wechselte gelegentliche Seitenblicke mit ihren Bekannten und zuckte bisweilen angesichts ihres unausgesprochenen Mitgefühls die Schultern. Immerhin war sie hier die unbestrittene Königin – jedenfalls solange die Prätendentin, Jane Shine, sich bedeckt hielt. Wo war eigentlich La Shine mit ihrer Flamenco-Frisur und dem gekünstelten Lächeln? Erstickte sie in ihrem fürstlich ausgestatteten Zimmer gerade an einer marinierten Trüffel? War sie mit ihrem nordischen Sklaven auf Spazierfahrt? Aber egal. Indem sie Brie den guten Dienst ihrer Gönnerschaft erwies – wenn La Dershowitz sie in Ordnung fand, dann war sie auch in Ordnung, Punktum –, fühlte sich Ruth als Wohltäterin, ja als Heilige. Es war das mindeste, was sie tun konnte.
    Ruth wartete noch eine Weile – »Ach, Sie sind auch Skorpion?«, plapperte Brie mit Ina und warf dabei wild die Schultern herum, dass ihre Haare flogen –, dann unterbrach sie das Schauspiel und ergriff Brie am Ellenbogen. »Du wirst jetzt sicher auspacken wollen«, sagte sie. »Owen wird dir dein Zimmer zeigen. Aber vorher –« eine Pause, beiläufig wie ein Gähnen »– möchtest du vielleicht gern Irving Thalamus kennenlernen?«
    Brie war die Gewinnerin einer Quizshow, die Zweite im Wettbewerb um den Titel der Miss America, sie wirkte, als hätte sie sechs Richtige im Lotto getippt oder den Jackpot in Las Vegas geknackt. Ihr Juchzer, in dem sich Überraschung, ehrfürchtiges Staunen und Vergnügen mischten, überstieg bei aller Lautstärke die menschliche Gehörschwelle, und Sandy, Ina und Bob lächelten still in sich hinein, so wie sie auch die Tollpatschigkeiten eines Kindes oder eines jungen Hundes belächelt hätten; Regina setzte wieder ihre finstere Punker-Miene auf. »Wirklich?«, gelang es Brie zu formulieren, als sie wieder zu Atem kam, »Irving Thalamus? Ist der auch hier?«
    Ruth führte sie hinüber zu dem Sessel, in dem es sich Irving mit einem doppelten Wodka und der Ausgabe einer Literaturzeitschrift bequem gemacht hatte, die ausschließlich seinem Werk gewidmet war. Er war in die Lektüre versunken und hatte seine Umgebung vergessen. Seine patriarchalen Augenbrauen waren zusammengezogen, und die winzige Lesebrille saß wie ein Spielzeug weit vorn auf seiner Nase. Er schenkte ihnen ein Lächeln, und nachdem Brie ihm ihre Ehrfurchtsbezeugungen erwiesen hatte – auf deren Höhepunkt Ruth glaubte, sie würde gleich auf dem Boden herumrollen und sich anpinkeln –, ließ er den vollen Thalamus-Charme sprühen und gewährte ihnen eine eingehende, zeilenweise belegte Beurteilung sämtlicher Vorzüge und Schwächen der Kritiker, die die Zeitschrift zu seinen Ehren aufgeboten hatte.
    Ruth holte Brie ein Glas Calistoga und sich selbst einen Bourbon und nahm zur Rechten Irvings Platz, während dieser sich mit all dem Verstand, Charme und selbstironischen Witz eines Mannes, der weiß, wofür er lebt, über einen gewissen Morris Rosenschweig von der Tufts University ausließ. Ruth sah und hörte ihm zu und fand seine Show ziemlich gut.
    Als Nächstes stellte Ruth ihr Clara und Patsy vor, im Anschluss daran eine Gruppe von weniger bedeutsamen Künstlern, die gerade hereinkamen, dann führte sie Brie langsam zurück an die Bar, und schließlich ging es zu Laura Grobian. Wie üblich saß Laura allein in der hinteren Ecke, ein zierliches Glas mit goldenem Sherry reflektierte das Licht der

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