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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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hast du doch nicht vergessen, oder?«
    Bei Janes Erwähnung war Brie wie der Blitz wieder da. »Jane Shine?«, stieß sie hervor und drängte sich dicht heran, als hätte man ihr soeben einen der geheimen Namen Jehovas enthüllt. »Die ist auch hier?«
    Nun zitterten die tektonischen Platten vehement, mahlten knirschend mit grausigen Scherkräften aneinander. Ganz aus der Balance gebracht, konnte Ruth nur nicken.
    »Oh, Ruthie« – Brie blickte aufgeregt zwischen Ruth und Laura hin und her –, »kennst du sie?«

WO DIE ERDE ZITTERT
    Wild und urtümlich, unbesiegbar und unergründlich, Bollwerk von Blutegeln, Wassermokassin- und Klapperschlangen, Mutter der Vegetation, Vater der Moskitos, Seele des Schlicks – der Okefenokee ist der archetypische Sumpf, ein Sumpf, in dem Legenden, das Artengedächtnis und Hollywood wurzeln. Hier entspringen zwei Flüsse, der St. Mary’s River und der Suwannee, die sich über 175.000 laubüberwucherte Hektar Land ausbreiten, jeder einzelne davon vollgesogen wie ein Schwamm. Einhundertfünfundsiebzigtausend Hektar voll stechender, beißender und bohrender Insekten, voll jungfräulicher Zuckerrohrstauden, Tupelobäumen und Zypressen, voll Palmen, Sumpfkiefern und Torf, voll Schlamm und Dreck, voll Schleim und Schlick. Alles west vor sich hin, alles brodelt, zerfällt, zerfließt. Der Sumpf beheimatet zweihundertfünfundzwanzig Vogel-, dreiundvierzig Säugetier-, achtundfünfzig Reptilien-, zweiunddreißig Amphibien- und vierunddreißig Fischarten – jede einzelne bestens ausgestattet mit Schnäbeln, Klauen, Krallen, Mäulern, Stacheln und Giftzähnen –, gar nicht eingerechnet die wuselnden Galaxien der Mücken und Bremsen, winzigen Fliegen, Zecken, Milben, Hakenwürmern und Infusorien, die nur existieren, um das Elend des Daseins zu unterstreichen. Hier gibt es Alligatoren, Bären, Pumas, Wildkatzen und Schlammfische, es gibt Schmuckschildkröten und Schnappschildkröten, Opossums, Waschbären und Hechte. Sie fressen sich gegenseitig, sie scheißen und pissen auf den Bäumen, im Schleim und im Schlamm und auf dem schwimmenden Torfrasen, sie triefen vor Sperma und vergraben ihre Eier, sie kratzen und beschnüffeln sich, sie stinken, sie kreischen und jaulen in jeder Minute an jedem Tag ihres Lebens, dass es überall von ihren Schreien widerhallt wie in einem Höllenzoo.
    Trockenlegen, sagte man damals, in jenen Tagen, als die Technik noch Hoffnung bot. Man versuchte es auch. Captain Harry Jackson, ein Mann mit Visionen, gründete 1889 die Suwannee Canal Company, um den Sumpf trockenzulegen und das Wasser abzuleiten, samt Insekten, Alligatoren, Schleim, Schildkröten, Schlangen, Fröschen und Welsen, und den fruchtbaren Schlick, der übrig bleiben würde, in Ackerland umzuwandeln. Er trieb etwas Kapital auf, schaffte ein halbes Dutzend riesiger dampfbetriebener Bagger an, die einen vierzehn Meter breiten und zwei Meter tiefen Kanal aushoben, in einem Tempo von dreizehn Metern pro Tag. Er baute auch ein Sägewerk, in dem Holz zum Verheizen und zum Verkaufen geschnitten wurde, und er ließ die Bagger rund um die Uhr graben, aber je mehr sie gruben, desto mehr Wasser floss in den Graben. Er machte trotzdem weiter und trieb seinen Kanal mit einem Tempo von etwa drei Meilen pro Jahr voran. Das Problem war nur, dass schätzungsweise dreihundert Kanalmeilen erforderlich waren, um den Sumpf erfolgreich trockenzulegen, und selbst ein Mann mit Visionen konnte nicht erwarten, hundertvierzig Jahre alt zu werden. Auch Captain Harry Jackson nicht. Er starb 1895, nachdem er eine winzige Scharte in die Flanke des unbesiegbaren Sumpfs geschlagen hatte, eine Wunde, in die das Wasser strömte, als wäre eine Arterie durchtrennt worden. Die Bagger verrosteten und versanken, das Sägewerk wurde zur Ruine. Gras und Schlingpflanzen und frische junge Bäume wucherten darüber und deckten alles zu.
    Aber wenn sich der Okefenokee schon nicht eliminieren ließ, so konnte man ihn doch immerhin plündern. Deswegen siedelte sich eine Holzfirma dort an. Sie verlegte auf hölzernen Strebepfeilern zweihundert Meilen Eisenbahngleise quer durch den Sumpf, um an die jungen Zypressenwälder zu gelangen, auf Billy’s Island entstand eine Stadt – mit einem Hotel, einem Gemischtwarenladen und einer Telefonverbindung zur Außenwelt. Von 1909 bis 1927 beherrschte das Kreischen der Sägen den mächtigen Sumpf. Dann gab es keine gewaltigen Zypressen und bald auch keine Holzfirma mehr. Die Züge zogen sich in die

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