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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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als Anwärter auf das Buch-des-Monats ausgewählt worden. War das nicht irre? Zähneknirschend riss Ruth den Umschlag von Atlantic auf. Wie vermutet, starrte sie, etwas mitgenommen an den Ecken, ihr Manuskript an. Das Ablehnungsschreiben war mit einem wilden, völlig unleserlichen Krakel unterzeichnet und kurz gehalten: »Zu scharf für uns. Versuchen Sie’s bei Hustler. «
    Den Nachmittag verbrachte Ruth grübelnd im Bett, leckte ihre Wunden, blätterte lustlos in einem tschechoslowakischen Roman, den ihr Peter Anserine voll intellektueller Inbrunst und mit einem enthusiastischen Beben seiner Brahmanennasenflügel empfohlen hatte, und putzte dabei missmutig eine Ein-Kilo-Schachtel mit Schokokeksen weg. Sie merkte, wie sehr ihr Sax fehlte – der Sax von früher, der feurige, sexy Sax, der seit Neuestem seine ganze libidinöse Energie in der Jagd auf Zwergfische zu sublimieren schien –, und um ein Haar hätte dieser Kummer ihren Wunsch nach Cocktails und menschlicher Gesellschaft verdrängt. Doch sie zwang sich zu einem Rückblick und gelangte über die demütigende Szene mit Turco auf der Veranda und die Tristesse ihres Studios zurück zu ihrem Augenblick des Triumphs über die ganze Affäre mit Hiro, und dies munterte sie wieder auf. Daraus ließ sich noch eine Menge machen – außerdem war es der Tag, an dem die Neuankömmlinge ihren ersten Auftritt in Thanatopsis absolvieren würden, und es wäre doch eine Schande, das zu verpassen. Ruth widmete sich eine halbe Stunde lang ihrem Gesicht, durchwühlte den Kleiderschrank nach etwas in Rot und schritt zur Cocktailstunde die große Treppe hinunter wie eine Königin auf dem Weg zur Krönung.
    Unten bekam sie als erstes Brie Sullivan zu Gesicht, die in einem Chaos aus bunt durcheinandergewürfelten Koffern verwirrt in der Halle stand. Ruth kannte Brie aus Bread Loaf; sie mochte sie wegen ihrer kurzsichtigen Schmollmundmiene – meist wirkte Brie leicht benommen –, wodurch sie den Eindruck der ewigen Landpomeranze vermittelte, und weil sie, wie Betsy Butler, noch nicht allzu viel publiziert hatte (was sich auch nie ändern würde, wenn man ihre Workshop-Erzählungen von damals betrachtete, in denen es immer nur um körperlose Gehirne oder sprechende Einhörner zu gehen schien). Sie hatte eine breite, glatte Stirn, kräftige Hände und Haare, die ihr Gesicht umflatterten wie in einem ständigen Sturmwind. »Brie!«, rief Ruth zur Begrüßung und schwebte mit ausgestreckten Armen die Treppe hinab – noblesse oblige.
    Bries Reaktion begann im tonalen Bereich zwischen Quietschen und Kreischen und setzte sich dann in Frequenzen fort, die nur für akustisch hoch empfindsame Lebensformen hörbar gewesen wären. »Ruthie!«, war der ungefähre Inhalt des Geräusches, das sie erzeugte, dann lagen sich die beiden in den Armen, zwei vom Schicksal auseinandergerissene Schwestern, nach langer Zeit endlich wieder vereint. Nach einer Weile trat jede einen Schritt zurück, ohne die andere ganz loszulassen, und auf diese Distanz musterten sie einander kurz, aber mit scharfem Blick. Brie sah gut aus, das musste Ruth zugeben – aber warum auch nicht, sie war schließlich erst sechsundzwanzig. »Ich bin total hin und weg«, stieß Brie hervor, dabei schweifte der Blick ihrer mattgrauen Augen durch die Halle und wagte einen verstohlenen Abstecher in die undeutliche Sphäre des Salons, wo man die verschwommenen Gestalten der Cocktailgäste fürsorglich über Drinks gebeugt sah, ehe er sich wieder Ruth zuwandte. »Nein, wirklich. Ich bin begeistert. Das ist ja fantastisch hier, viel schicker, als ich es mir vorgestellt hab –«
    »Ja«, bestätigte Ruth mit gewissem Besitzerstolz, »hier ist wirklich alles erste Klasse. Septima – das ist die Mutter von meinem Freund Saxby, weißt du? –, die sorgt dafür, dass der Laden konkurrenzfähig bleibt, keine Frage. Vor allem wird man hier so richtig verwöhnt. Allein das Essen …« Ruth legte Daumen und Zeigefinger zusammen und machte eine anerkennende Geste.
    Brie sah sie mit einer Miene an, in der unverfälschtes Staunen und ungetrübte Freude lagen. »Ich bin so froh, dass du hier bist«, bellte sie. »Ich dachte schon, ich wäre hier die Einzige, die –« Brie zögerte. »Die einzige …«
    Die einzige was?, dachte Ruth. Die einzige naive Blondine? Der einzige blutige Anfänger? Das einzige sprechende Einhorn? Wollte Brie sie etwa beleidigen? Wollte sie damit zum Ausdruck bringen, dass sie befürchtet habe, hier gebe es nur

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