Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
fielen ihm in die Augen, und auf seinem Mund lag ein vergnügtes Lächeln.
Der junge Mann im Krankenhausbett hustet müde, atmet stoßweise mit geschlossenen Augen und flüstert dann leise:
»Nein, nein, nein …«
Vor ihm liegt ohne jeden Zweifel Mikael Kohler-Frost.
»Jetzt sind Sie in Sicherheit, Mikael«, sagt Joona.
Irma Goodwin steht schweigend hinter ihm und betrachtet den ausgemergelten Körper im Bett.
»Ich will nicht, ich will nicht.«
Der junge Mann schüttelt den Kopf, zuckt und spannt alle Muskeln im Körper an. Die Flüssigkeit im Schlauch zum Infusionsbeutel verfärbt sich blutrot. Er zittert und beginnt, leise zu wimmern.
»Ich heiße Joona Linna, ich bin Kommissar und gehörte zu den Leuten, die Sie gesucht haben, als Sie nicht nach Hause zurückgekommen sind.«
Mikael öffnet die Augen einen Spaltbreit, scheint zunächst jedoch nichts zu sehen, zwinkert mehrmals und blinzelt Joona an.
»Sie glauben, dass ich lebe …«
Er hustet, liegt dann keuchend da und sieht Joona an.
»Wo sind Sie gewesen, Mikael?«
»Ich weiß es nicht, das weiß ich doch nicht, ich weiß nichts, ich weiß nicht, wo ich bin, ich weiß nichts über …«
»Sie sind im Söder-Krankenhaus in Stockholm«, sagt Joona.
»Ist die Tür abgeschlossen? Ist sie das?«
»Mikael, ich muss wissen, wo Sie gewesen sind.«
»Ich begreife nicht, was Sie sagen«, flüstert der junge Mann.
»Ich muss wissen …«
»Verdammt, was tun Sie mit mir?«, fragt Mikael mit verzweifelter Stimme und bricht in Tränen aus.
»Ich gebe ihm etwas zur Beruhigung«, erklärt die Ärztin und verlässt das Zimmer.
»Sie sind jetzt in Sicherheit«, wiederholt Joona. »Alle hier versuchen, Ihnen zu helfen, und …«
»Ich will das nicht, ich will nicht, ich halte das nicht aus …«
Er schüttelt den Kopf und versucht mit müden Fingern, den Schlauch aus seiner Armbeuge zu ziehen.
»Wo sind Sie so lange gewesen, Mikael? Wo haben Sie gewohnt? Haben Sie sich versteckt? Sind Sie eingesperrt gewesen oder …«
»Ich weiß es nicht, ich verstehe nicht, was Sie sagen.«
»Sie sind müde und haben Fieber«, erwidert Joona leise. »Aber Sie müssen versuchen nachzudenken.«
33
Mikael Kohler-Frost liegt im Krankenhausbett und atmet flatternd wie ein angefahrener Hase. Er murmelt etwas vor sich hin, befeuchtet seine Lippen und blickt mit großen, fragenden Augen zu Joona Linna auf.
»Kann man in nichts eingesperrt sein?«
»Nein, das kann man nicht«, antwortet Joona ruhig.
»Das kann man nicht? Ich begreife das nicht, ich weiß nicht, das Denken fällt mir so schwer«, flüstert der Mann schnell. »Es gibt keine Erinnerungen, es ist nur dunkel … alles ist wie nichts, und ich bringe alles durcheinander … Ich bringe durcheinander, was vorher war und was am Anfang war, ich kann nicht klar denken, da ist einfach zu viel Sand, ich weiß nicht einmal, was Träume sind und was …«
Er hustet, lehnt den Kopf zurück und schließt die Augen.
»Sie haben etwas darüber gesagt, was am Anfang war«, sagt Joona. »Könnten Sie versuchen …«
»Rühren Sie mich nicht an, ich will nicht, dass Sie mich anfassen«, unterbricht er Joona.
»Das tue ich nicht.«
»Ich will nicht, ich will nicht, ich kann nicht, ich will nicht …«
Seine Augen drehen sich nach hinten, und er hebt in einer seltsamen, schiefen Weise den Kopf und zittert am ganzen Körper.
»Keine Sorge, es ist alles in Ordnung«, sagt Joona beschwichtigend.
Nach einer Weile entspannt Mikaels Körper sich wieder, und er hustet kurz und schaut auf.
»Können Sie mir etwas darüber erzählen, wie es am Anfang war?«, wiederholt Joona sanft.
»Als ich klein war, drängelten wir uns auf dem Fußboden«, antwortet Mikael fast lautlos.
»Dann wart ihr also anfangs zu mehreren?«, fragt Joona, und ihm läuft ein Schauer über den Rücken, dass sich ihm die Nackenhaare sträuben.
»Alle hatten einfach nur Angst … ich habe nach Mama und Papa gerufen … und es gab eine erwachsene Frau und einen alten Onkel auf dem Fußboden … sie saßen auf dem Boden hinter der Couch … Sie versuchten, mich zu beruhigen, aber … aber ich hörte doch, dass sie selbst die ganze Zeit weinte.«
»Was hat sie gesagt?«, fragt Joona.
»Ich weiß es nicht mehr, ich erinnere mich an nichts, vielleicht habe ich das alles ja auch nur geträumt …«
»Sie haben gerade einen alten Mann und eine Frau erwähnt.«
»Nein.«
»Hinter der Couch«, sagt Joona.
»Nein«, flüstert
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