Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Telefonnummern und frei erfundene Familienmitglieder herunterleiern können. Geburtstage, frühere Wohnsitze, Haustiere, seine Personennummer, Schulen, Lehrer, Arbeitsstellen, Kollegen und ihre Gewohnheiten und …«
»Ehrlich gesagt, denke ich, dass das der falsche Weg ist«, fällt Joona ihm ins Wort.
Verner verstummt abrupt und sieht ihn an. Carlos wird nervös und fegt mit der Hand Krümel auf dem Tisch zusammen. Nathan Pollock lehnt sich zurück und lächelt erwartungsvoll.
»Ich kann das alles lernen, kein Problem«, meint Saga.
Joona nickt ruhig und sieht ihr in die Augen. Sein Blick ist jetzt dunkel wie Blei.
»Da Samuel Mendel nicht mehr lebt«, sagt Joona, »kann ich euch erzählen, dass er über ein eigenartig umfangreiches Wissen über Langzeitinfiltration … oder so genannte verdeckte Ermittlungen verfügte.«
»Samuel?«, fragt Carlos skeptisch.
»Ich weiß nicht, woher er es hatte, aber er wusste, wovon er redete«, sagt Joona.
»Hat er für den Mossad gearbeitet?«, fragt Verner.
»Ich kann nur sagen … als er mir von seiner Methode erzählte, begriff ich schlagartig, dass er Recht hatte, und deshalb habe ich mich immer an seine Worte erinnert«, antwortet Joona.
»Wir beherrschen bereits alle Methoden«, entgegnet Verner gestresst.
»Wenn man verdeckt ermittelt, soll man möglichst wenig und in kurzen Sätzen sprechen«, beginnt Joona.
»Warum in kurzen Sätzen?«
»Sei einfach authentisch«, fährt Joona direkt an Saga gewandt fort. »Täusche keine Gefühle vor, spiel keine Wut oder Freude, und meine immer, was du sagst.«
»Okay«, antwortet Saga abwartend.
»Und das absolut Wichtigste ist«, fährt Joona fort. »Sag nie etwas anderes als die Wahrheit.«
»Die Wahrheit«, wiederholt Saga.
»Wir sorgen dafür, dass du deine Diagnose bekommst«, erläutert Joona. »Aber du wirst behaupten, du seist gesund.«
»Weil es die Wahrheit ist«, flüstert Verner.
»Du brauchst deine Verbrechen nicht einmal zu kennen – du wirst ohnehin behaupten, dass es alles Lügen sind.«
»Denn dann lüge ich nicht«, sagt Saga.
»Oh verdammt«, murmelt Verner, »oh verdammt.«
Sagas Gesicht wird ganz warm, als sie begreift, was Joona meint. Sie schluckt und sagt langsam:
»Wenn Jurek Walter mich fragt, wo ich wohne, dann antworte ich ihm einfach, dass ich in der Tavastgatan im Stadtteil Södermalm wohne?«
»Dann wirst du dich an deine Antwort erinnern, falls er dich noch einmal danach fragen sollte.«
»Wenn er mich nach Stefan fragt, dann erzähle ich ihm die Wahrheit?«
»Das ist deine einzige Chance, authentisch zu sein und dich daran zu erinnern, was du gesagt hast.«
»Und was ist, wenn er mich nach meinem Beruf fragt?«, meint sie lachend. »Soll ich ihm etwas sagen, dass ich Kommissarin beim Staatsschutz bin?«
»In der Gerichtspsychiatrie würde das vielleicht sogar funktionieren«, antwortet Joona lächelnd. »Aber ansonsten … wenn dir eine Frage gestellt wird, die dich enttarnen würde, antwortest du einfach nicht … weil das eine ganz und gar ehrliche Reaktion ist – du willst ja nicht antworten.«
Verner kratzt sich grinsend am Kopf. Plötzlich herrscht Aufbruchsstimmung im Raum.
»Langsam fange ich an, an diese Sache zu glauben«, sagt Nathan Pollock zu Saga. »Wir schreiben das gerichtspsychiatrische Gutachten und ergänzen es um ein Gerichtsurteil, aber du wirst einfach sagen, wie es ist.«
Saga steht auf und sagt mit einem vollkommen ruhigen Gesichtsausdruck:
»Mein Name ist Saga Bauer, und ich bin gesund und unschuldig.«
67
Nathan Pollock setzt sich neben Verner Zandén, der sich in die Datenbank des Justizarchivs einloggt und die zwölf Ziffern des Zugangscodes eingibt. Gemeinsam tragen sie das Datum der Anklage und der Hauptverhandlung ein. Sie formulieren die Anklagepunkte, das psychiatrische Gutachten und die Information, nach der das Amtsgericht Uppsala die Angeklagte in zwei ungewöhnlich brutalen Fällen vorsätzlichen Totschlags schuldig gesprochen hat.
Zur gleichen Zeit trägt Carlos Saga Bauers Straftaten, das Urteil und das Strafmaß ins Strafregister ein.
Dann nimmt sich Verner das Gerichtsmedizinische Zentralregister vor, kopiert das psychiatrische Gutachten hinein, registriert die Untersuchung und lächelt anschließend vor sich hin.
»Wie liegen wir in der Zeit?«, fragt Saga.
»Ziemlich gut, denke ich«, sagt Verner und schaut auf die Uhr. »In exakt zwei Minuten tritt der Vorstand des Justizvollzugwesens zu seiner außerordentlichen
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