Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
gelebt hat, als Mikael geflohen ist«, fährt Joona fort.
»Ich halte das nicht aus«, sagt Carlos und steht auf. »Ich würde mich am liebsten einfach ins Bett legen und heulen, wenn ich daran denke …«
»Wir haben keine Zeit zum Weinen«, unterbricht Verner ihn.
»Ich versuche doch nur zu sagen, dass …«
»Ich weiß, mir geht es ja genauso«, sagt Verner mit erhobener Stimme. »Aber in etwa einer Stunde tritt der Vorstand des Justizvollzugwesens zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um offiziell zu entscheiden, Patienten in den Sicherheitstrakt des Löwenströmschen Krankenhauses zu verlegen, und dann …«
»Ich kapiere nicht einmal, wie mein Auftrag lautet«, wirft Saga ein.
»Und bis dahin muss deine neue Identität stehen«, fährt Verner fort und hebt beruhigend die Hand. »Wir müssen deine Krankengeschichte und das gerichtsmedizinische Gutachten fertigstellen, das Urteil des Amtsgerichts muss offiziell archiviert und die kurzfristige Verlegung nach Karsudden organisiert werden.«
»Wir müssen uns beeilen«, sagt Pollock.
»Aber Saga möchte etwas über den Auftrag erfahren«, wendet Joona ein.
»Es fällt mir so verdammt schwer … ich meine, zu all dem Stellung zu beziehen, was ihr sagt, wenn ich nicht weiß, was von mir erwartet wird … ganz konkret, meine ich.«
Pollock hält eine kleine Plastiktüte vor ihr hoch.
»Am ersten Tag wirst du im Aufenthaltsraum ein kleines Mikrofon anbringen, Sender und Empfänger aus Glasfasern«, erläutert Verner.
Pollock gibt ihr die Plastiktüte mit dem Mikrofon.
»Soll ich das Ding im After transportieren?«, fragt sie.
»Nein, die führen garantiert eine gründliche Leibesvisitation durch«, antwortet Verner.
»Du wirst es schlucken und wieder erbrechen, bevor es in den Zwölffingerdarm gelangt … und es dann wieder schlucken« erläutert Pollock.
»Warte nie länger als vier Stunden«, rät Verner ihr.
»Und das soll ich so lange machen, bis ich das Ding im Aufenthaltsraum anbringen kann«, sagt Saga.
»Wir werden Leute in einem Transporter vor Ort haben, die alles in Echtzeit mithören«, berichtet Pollock.
»Okay, dann habe ich das kapiert«, meint Saga. »Ihr besorgt mir eine Verurteilung und einen verdammten Platz in der Gerichtspsychiatrie und so weiter und so weiter …«
»Das ist nötig, um …«
»Lasst mich aussprechen«, unterbricht sie. »Ich verstehe … ich habe den ganzen Hintergrund, lande in der richtigen Abteilung und schaffe es, das Mikrofon zu platzieren, aber …«
Ihr Blick ist hart, und ihre Lippen sind blass, als sie jedem Einzelnen im Raum in die Augen blickt:
»Aber warum zum Teufel … Warum sollte Jurek Walter mir irgendetwas erzählen?«
64
Nathan ist aufgestanden , Carlos hält sich die Hände vors Gesicht, und Verner spielt mit seinem Handy.
»Ich begreife nicht, warum Jurek Walter mit mir reden sollte«, wiederholt Saga.
»Es stimmt schon, es ist ein Schuss ins Blaue«, sagt Joona.
»In dieser Abteilung gibt es drei einzelne Sicherheitszellen und einen gemeinsamen Aufenthaltsraum mit einem Laufband und einem Fernsehapparat hinter Panzerglas«, erläutert Verner. »Jurek Walter ist seit dreizehn Jahren der Einzige in dieser Abteilung, und ich weiß nicht, in welchem Umfang der Aufenthaltsraum bisher von ihm genutzt worden ist.«
Nathan Pollock schiebt die Baupläne des Sicherheitstrakts in die Tischmitte und zeigt auf Jurek Walters Zimmer und den direkt daran anschließenden Aufenthaltsraum.
»Wenn es ganz mies für uns läuft, erlaubt das Personal keinen Kontakt der Patienten untereinander … darauf haben wir keinen Einfluss«, gesteht Carlos.
»Das ist mir klar«, erwidert Saga gefasst. »Aber ich denke vor allem daran, dass ich keine Ahnung habe … nicht die geringste Ahnung, wie ich mich Jurek Walter nähern soll.«
»Wir haben uns überlegt, dass du verlangen wirst, einen Anwalt zu treffen«, sagt Carlos.
»Und wem sage ich das?«, fragt sie.
»Oberarzt Roland Brolin«, antwortet Verner und legt ihr ein Foto des Mannes vor.
»Jurek Walter unterliegt selbst einigen Einschränkungen seiner Rechte«, sagt Pollock. »Deshalb wird er dich genau beobachten und dir wahrscheinlich Fragen stellen, weil deine Besucher wie ein Fenster zur Außenwelt sind.«
»Worauf muss ich bei ihm gefasst sein? Was will er?«, fragt Saga.
»Er will ausbrechen«, antwortet Joona mit Nachdruck.
»Ausbrechen?«, wiederholt Carlos ungläubig und klopft auf einen Stapel von Berichten.
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