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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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das muß ich registrieren. Mein Ägypten von 1913 erkennt mich wieder. Es schickt mir einen Schirmherrn, einen »Abu Nabbût«, einen »Vater des Knüppels« – irgendwoher taucht er auf, magnetisch angezogen von meiner Not. Er ist gar nicht repräsentativ. Ein magerer, gebeugter Fünfziger, blatternarbig, dunkel brennenden Auges, in einer dunkelblauen Kelabije aus ehemals besserem Stoff – so kriecht er wie eine Spannerraupe in der Luftlinie heran. Man wende nicht ein, dieser Vergleich hinke! Er schwingt sich, dieser Bresthafte aus der Hefe, an zwei Krückstöcken herzu, fast zwei Meter deckend bei jedem Anhub; zähneknirschend, hohläugig, mit aller Energie wütendster Servilität... Und bei der Gruppe meiner Peiniger angelangt, schreit er wie eine Posaune ein unvergeßliches Wort. Er schreit nicht,auch ihm gebühre ein Plätzchen an der Sonne, am »Herrn Baron«, oder »Kapitän«; er nennt sie nicht auf saftiges Vulgär-Arabisch »vor Allah verworfene Abfallprodukte«, »Rinnsteinerzeugnisse«, oder, näherliegend, etwa: »Söhne von sechzig Hunden« – nein, während sein Arm mit erhobener Krücke wie ein Fledermausflügel flattert, schreit er mit aufräumender Stimme: »Gehn Se weck!! Ach!! Gehn Se weck !!«
    Was? Wie ist das? Höre ich recht? Ägypten selbst, das mir zu Hilfe eilt und sich der Potsdamer Zunge bedient?! Deutsch lispelnd, nimmt mich das Tausendjährige ans Herz? – Und siehe da, es erweist sich: der Alte an den zwei Krücken ist eine Straßenmacht! – Die Kerle grinsen und weichen, die Horde läßt ab, der ganze Kitsch verflüchtigt sich, Augen rollen von mir zu ihm; und noch immer vor mich hingepflanzt, beide Krücken abwechselnd schwingend, gewaltige dunkelblaue Schutz-Fledermaus, bellt er ihnen nach: »Gehn Se weck! – Ach!! Gehn Se weck!«
    Nachdem er solchergestalt Beweise seiner Macht gegeben, entblättert er ein unsagbar dreckiges, aber noch lesbares Stück Papier, auf dem vermerkt steht: » Take this man. He cheats you less than the others. « Mit dem Stempel eines – offenbar nicht unsachlichen und unwitzigen – englischen Bureaubeamten. Er sieht mich voll fanatischen Selbstvertrauens an. Er weiß: »Dies Papier ist gut. Superlative stehen nicht drin, Allah weiß es. Aber auf die Ingliz wirkt es wie Zauber.« –Mit einem Schlag wird mir klar, woher die Straßenmacht kommt. Offiziell beglaubigte Tugend ist's, die diesem Einäugigen unter Blinden die Segel bläht. In dieses Stück Papier ist das Schicksal seines früheren und zukünftigen Lebens verwoben; sein Amulett ist's, seine magere, doch stetig anzapfbare Stallziege, sein moralischer »mascot« und Neutralitätswimpel; und in diesen von Fliegendreck, Kaftanschweiß und fettigen Medikamenten besudelten Fetzen Kanzleipapier ist er hineinverbissen wie eine Dogge. Ich kann mir die von Diebesangst schwangeren Nächte denken, wenn er ihn in den Turban hineinpraktiziert, unter die gestickte Kappe vielleicht, eng an seinen armen, trüben Fellachenschädel. Er kann, wie sich herausstellt, leidlich gut Englisch; doch den finsteren Humor des Schriebs, das »Vonhintenherum« der Lobeserhebung – das schiebt er aus seinem Verständnis fort. Es gibt andere beglaubigte Fremdenführer, gewiß, die haben schöne lange Zeugnisse, die von Ausdrücken wie: »excellent« und »reliable« nur so strotzen. Er sticht sie aus. Er weiß den Grund nicht; die Tatsache genügt ihm für seine armen alten Tage.
    Ich lache also und nicke. Der Imperator der Gasse hierauf schreit hohlen Tons und voll; der Laut zerspaltet sich an vier Ecken, und schon ist eine Gummidroschke zur Stelle. Der Berberiner Kutscher zieht das Maul schief, als er das wandelnde Gewissen seiner Kaste sieht, und der »Vater der Ehrlichkeit« klettert an seinen Krücken zu ihm auf den Bock hinauf, ohne daßjener sich zur Hilfeleistung rührt. Eine strenge Taxameteruhr des lieben Gottes bist du, empfinde ich gerührt; und dann bin ich wieder unterwegs auf der alten, rauschartig gleitenden, traumähnlichen Zweistundenfahrt in langsamem Trab, gewiegt von Brisen und Gerüchen, vorbei an endlosen, schwarz starrenden Augenpaaren und den Flüsterwellen halbheller Basare.
    Mit allen Fibern sauge ich in dieser modernen, unechten Hafenstadt, in der sich doch das uralte Treiben niederließ wie ehedem und immerdar, diesen Orient wieder in mich ein. Geblähte Gesichtsschleier, Eseltrappeln, weiß gekalkte Moschee im intensivsten Kristallblau ... Daûd am Schöpfrad, den ich hier erlebt,

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