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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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Hassan-Bey-Muharram, der Diener der Verworfenen, sie werden wieder in mir lebendig und lächeln über zwölf Jahre hinweg ihr altes, etwas eitles, gleichbleibendes östliches Lächeln – über zwölf von ödem Gepolter, blechernen Schlagwörtern und trüber Zersetzung erfüllte Jahre! ... Sie gehen, kleiner Schuhputzer und Straßen-Taschenspieler, kindlich die Hemden gerafft, oder als feiste, guttural schwatzende Herren im Tarbusch, plastisch und doch schemenhaft an mir vorbei. Oh, über die weisen Opportunisten und sonnigen Tagediebe! – Und mitten unter ihnen, die Faust im Starrkrampf schier vor nervösem Behauptungsdrang und kahlem Machtwillen, die Sperbernase witternd im Schatten des Tropenhelms: England ... Mit Konzessionen pflastert es seinen Weg, Zugeständnis überZugeständnis macht es an die »sonnigen Opportunisten«, an die ägyptischen Parlamentarier, an diese empfindlichen, umhergescheuchten, immer hoffnungsfrohen, immer enttäuschten Herren: doch sie drehn ihm lächelnd und schmeichelnd jetzt manches aus der Hand, denn nie war eine Überzeugung reifer und brünstiger als die des Zaglul!
    Und wir, die Parias unter den Weißen? Die diskreditierten Halbbrüder, gegen die man Farbige hetzte? ... »Gehn Se weck! – Ach!! Gehn Se weck!« – schreit Mohammed-abul-Sikr und wedelt mit beiden Krücken ... Dieser Pascha der Gasse nimmt uns in Schutz, umzirkelt uns, krückenschwenkend: »hands off!« – Wen ich heranlasse, den läßt auch er heran. Stelle ich mich taub (er belauert meine Miene), so stempelt er das feilschende Geschöpf zum Auswurf. Polizisten grinsen. Er hat mich gepachtet. Er setzt sich, pompös auf seine Krücken gestützt, an den Nebentisch. Er verwaltet meine Einkäufe; läßt es sich nicht nehmen, unter blumigster Inanspruchnahme des höchsten Wesens und Hineinbeziehung seiner Mutter, meine Pakete selbst zu schleppen und zu bewachen. Er drückt die Preise erbarmungslos, fanatisch glühenden Blickes. Ummurrt vom Pöbel, dem er das Geschäft verdirbt, thront er bei gespendeten Zigaretten und Kaffee, als habe ich ihm einen lebenslangen Vertrauensposten samt Altersversorgung geschenkt. Bei Engländern, das weiß er, kriegt er Fußtritte und herbes Nasenpusten als Entgelt. – Bei Deutschen nicht. Die lassen ihn leben undmitverdienen; sein Gebresten ist ihnen nicht gleichgültig. In seinen tiefliegenden Augen liegt eine schattenhafte Erkenntnis dessen, was uns von jenen trennt ...
    Nun aber röchelt die Schiffssirene; man muß an Aufbruch denken. Diesmal geht es zu Fuß zur Pier zurück, und der »Vater des Knüppels«, mit großen, schwingenden Hopsern, bahnt mir eine Bresche. Ich habe mir, trotz seines finster-ergebenen Protestes, selbst einen Teil der Pakete aufgeladen; er läßt es nur geschehen, weil es im Hinblick auf seine Bresthaftigkeit geschieht. »Tok-tok«, sagte seine gehöhlte Zungenspitze, mit Schnalzlauten am Gaumen – »ein edles Herz hat dieser Effendi ...« Schier bedauernd blickt er mich an, doch es gibt eine Brücke, die sich von krankem Alter schlagen läßt hinüber zu beschwingten Jahren, und die hat nichts mit Hautfarbe oder Kaste zu tun ... So akzeptiert er's; seine Ärmel flattern; seine Krücken krachen rhythmisch aufs Pflaster ... Am Motorboot bekommt er die ausgemachten zwei Schilling.
    Nun, ein letztes Erstaunliches: gibt man einem Araber hier einen unter Beteuerungen und Unterbietungen der anderen vorher vereinbarten Tip, so meint er selbst, und der Effendi meint im Grunde auch – das Doppelte. Sonst wird das Geld zu heiß in der braunen Hand; sie schlenkert es zurück, und es kühlt nur ab, wenn es mehr wird. Dieser jedoch nimmt die zwei Schillinge ohne Gezeter, ohne Schreckschüsse;nimmt sie still und selbstverständlich. Er bekommt einen draufgelegt; ei, da freut er sich.
    Ich seh' ihn am Quai stehen, den alten, rissigen Mund wie flötend gespitzt, hingesunken auf die Stütze beider Krücken, denn die andere Hand vollführt das Salaam. Ich höre noch die dringliche Frage in schlechtem Englisch, wann ich wiederkomme; dann sei er wiederum mein Mann.
    Fern, als Silhouette gegen das staubige Abendrot, voll grotesker Krümmungen und Streckungen, entschwindet er.
    Und nun wollen wir dem Hinkefuß noch einmal folgen –in seine eigenste Welt, die vor zwölf Jahren das gleiche Antlitz trug.
    Willy Seidel.
Erster Teil

Daûd-ibn-Zabal
    Gott danken wir,
Daß wie leben dürfen,
Ob wir Honig
Oder Zwiebeln essen,
Ob wir auf Steinen
Oder auf Seide schlafen!
    Ein Gesang

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