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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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den Lippen, in der Nähe Hassans auf und erzählten sich in ihrer kurz angebundenen Weise allerlei Vergnügliches; und dann lachten sie temperiert und leise ... Zuweilen streiften sie ihn mit ihren Blicken. Aber diese Blicke gingen durch ihn hindurch wie durch Glas. Es gab keinen Hassan auf dem Stuhle mehr; es war ein leerer Stuhl. Die Existenz Hassans wurde ausgelöscht. Und je weniger er seinen leicht glotzenden Augen gebieten konnte, die von einem dumpfen, mechanischen Interesse an die Leute geschmiedet wurden, um so weniger Beachtung schenkte man ihm. Sein logisches Denken ging einen verzwickten Pfad; das Kind in ihm tastete sich an einem dünnen, primitiven Gedankenfaden entlang.
    »Sie würden mich beachten,« dachte er, »wenn Sie wüßten, daß ich das Dekret ... in der Tasche ...« Er sah an sich herab. »Wozu das Dekret? – Ich bin auch ohne Dekret so gut wie Sie, meine Herren. Ich habe Geld, vielleicht mehr als zehn von Ihnen ... Zum mindesten sollte es mir freistehen, im Hotel umherzugehen, wo ich will. Ich kann alles bezahlen! Seit wannhaben Sie diesen Ort gekauft? ... Aha! Sie wollen ihn pachten, wie sie Ägypten gepachtet haben! Aha!« Und Hassan erschien sich ungeheuer schlau. »Aber das soll Ihnen nicht gelingen! – Wir bekommen das Heft in die Hand! Wir werden Ihnen beweisen, daß wir Ihrer nicht mehr bedürfen ... Daß wir Ihrer Bevormundung entwachsen sind ... Ah, Ihrer Bevormundung ... Ich nenne es Arroganz ...« Hassan sprach das letztere fast laut vor sich hin, mit dem unvermeidlichen Modellierversuch der Finger, über deren selbständiges Leben er stets eine kleine Beschämung empfand. Graue Blicke streiften ihn; irgend jemand amüsierte sich. – Hassan fing das kleine Gelächter auf; es tat ihm wohl.
    »Es ist auf mich gemünzt. – Ah, da gibt es einen Spaßvogel, der Scherz versteht ...« Und das Kind in ihm stolperte, richtete sich blind wieder auf und hatte eine kleine, konfuse Überlegung.
    »Vielleicht sind sie gar nicht gleichgültig. Vielleicht begrüßen sie es nur, wenn man sich ihnen nähert. Denn es wäre zweifellos von Vorteil, wenn wir, statt umeinander herumzugehen, uns in die Hände arbeiten würden als gute Freunde.« Er nestelte an sich herum und fand eine Zigarette. Nicht ohne Beschwerde stand er auf; in dem Bedürfnis, leutselig zu sein und den Inglîz eine Annäherung zu erleichtern. Er ging auf einen weißbärtigen Herrn zu, dessen reserviert lachsfarbenes Gesicht ihm schon vor längerer Zeit aufgefallen war, und bat ihn um Feuer. Er bat nicht, wie man sonstzu bitten pflegt: er sagte nicht: »matckes, please«, sondern er geriet durch eine kleine Ouvertüre hindurch, die er mit stammelnden Anerkennungen füllte, erst ganz zum Schluß und nicht unbedingt verständlich, zu dem Kern der Sache. Der alte Herr sagte: »Well ...«, knipste ein Benzinflämmchen an und bediente ihn mit einer gänzlich unbeteiligten Bewegung, worauf er ihm den Rücken drehte.
    Hassan rang nach Luft, dann sah er sich mit seinen blanken schwarzen Augen um und zog die Brauen in die Höhe. Man hatte also (das erkannte er nun) durchaus davon Abstand genommen, sich mit ihm zu befassen. – Er gab sich einen Ruck, schnob durch die Nase und ging annähernd in der Luftlinie zu seinem Stuhl zurück. Umständlich dortselbst etabliert, zog er trübe und unerquickliche Schlüsse aus der Tatsache, daß man ihm den Rücken gedreht. Zuerst fand er es nur unhöflich, dann mehr als dies, und schließlich erboste es ihn redlich. Er paffte stark und trank sein Ginglas auf einen Zug leer, worauf er es krätig auf den Tisch zurücksetzte. Drinnen begann die Musik, und ein Waiter erschien auf der Veranda. Die Gruppen lösten sich auf; man ging hinein.
    Die Musik gefiel Hassan so, daß er im selben Augenblick, wo er die ersten Töne hörte, alles Vorhergehende spurlos vergaß. Er hatte das Bedürfnis, sich den Tönen zu nähern; aber irgend etwas hielt ihn noch ab. Eine gläserne Drehtüre fiel ihm ein ... Wo war das doch gewesen ...?Diese Situation kannte er doch! Er grübelte sich ab, auf einmal ward er ein Eseljunge , der aus dem Dunkel heraus in ein Leben starrte, das sich auf Korbstühlen abspielte, von gedämpftem Licht umflutet und durchblitzt von Silber ... Und an der Pforte dieses Lebens stand ein weißer Knabe und blickte höhnisch in seiner Unerreichbarkeit auf ihn herab.
    Wie? Was war das? Wie kam er dazu, daran zu denken? – Ah! Du leidende Wonne! – Du dumpfes Glück! – Jetzt konnte er den

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