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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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»Wu-wu-wu!« Er schrie es eintönig und gellend. Träge Schmutzmilane schwammen im Blau. Eine Krähe flatterte plump vorüber. Das Geräusch einer einsamen Harke unterstrich die Stille ... Die seidene Troddel auf dem Tarbusch des Beis fiel nach vorn; sein Kopf sank herab; er schlief ein. Alle Wünsche verblaßten; er schlief traumlos und tief.
    Plötzlich fühlte er sich von einer groben Hand berührt und erwachte. Ein nubischer Aufseher, derselbe, der in Begleitung des kleinen Elefanten den Nachmittag verträumt, stand vor ihm und sagte: »Verzeihe mir, Effendi, du mußt gehen. Der Garten wird geschlossen.«
    Hassan sah auf die Uhr. Es war etwas nach sieben.
    »Höre zu: Laß mich hier. Es gefällt mir hier.«
    »Effendi!« schrie der Nubier außer sich und gestikulierte. »Du mußt gehen; alle Welt muß gehen!«
    Hassan holte ein Pfundstück hervor und tändelte damit. Der Nubier wurde sanft, und als er es erhielt, sagte er: »Verhalte dich noch eine Weile hier, Effendi, damit der Oberaufseher dich nicht erblickt. Im Schutze Gottes!« Er grüßte voll verschmitzter Unterwürfigkeit und verschwand. – – – – – – – – – – –
    Alles um ihn her – so erschien es Hassan – habe Form, Farbe und Gesicht geändert. Etwas Unwägbares,Ungreifbares sei um ihn emporgewachsen, stehe ihm mit klaffenden Rätselaugen gegenüber ... Irgend etwas flüstere und fessele unhörbaren Schritts mit einer Bannfessel Stück nach Stück der Gartentiefe.
    Gleichzeitig traten alle Gegenstände in eine bengalische Bestrahlung, die allen Farben ihr Wesen nahm ... Hassan blickte um: ein ungeheurer, stumm und flammend drohender Farbenfächer war dem Westen entwachsen und ersäufte, langsam sich entbreitend, das Blau mit einem verruchten Pomp dreifach ineinander gewühlter, satt glotzender Tinten, die herrisch emporschwollen ... Es war ein Pfuhl von stumpf schwärendem Blut, molkig wogend, dessen Ufersäume in ein krankes Violett zerliefen.
    Die Sonne, in einem fernen Staubsturm vergraben, glich einer geöffneten Wunde, aus der unaufhörlich rotes Leben sickerte; einer Wunde, die ihr Blut wild vergeudete und sich dennoch nicht erschöpfte. Sie sank, sie trat zurück; der blutige Schein dunkelte intensiver, verlohte unter einem rostfarbenen Schleier, der die westliche Himmelsdecke zu überhauchen begann wie Asche einen ausgeglühten Krater. Die Welt erblindete in wüsten Zwielichtfarben; und der Garten vergrub sich langsam in das Dunkel, das dem toten Fluidum zwischen Himmel und Erde entfiel.
    Der Bei saß noch immer im Pavillon. Ein fremdes Fieber, der Anhauch irgendeines kommenden unerhörten Geschehnisses traf ihn wie die Nähe eines unausdenkbaren Fatums, das von den aufwachsendenSchatten genährt irgendwo unvermeidlich seinen Weg kreuzen müsse. In den wenigen Minuten des Überganges von der Dämmerung zur Nacht wachte ein Schauer auf, wimmelte wie mit Ameisenfüßen durch den Park oder umfächelte wie ein Vampir mit den Hautschwingen eines Fliegenden Hundes sekundenlang seinen geneigten Kopf. Ein kurzes Asthma befiel ihn, eine lächerliche Beschleunigung des Pulses. Es kam und ging; es irritierte nur flüchtig wie etwas scheinbar Grauenhaftes, das sich bei schärferem Blick als ein nichtiger Spuk erweist.
    Er atmete tief auf und schritt langsam in den Garten zurück.
    Die Abendglut war erstorben, und das schwarze, üppige Blau der Nacht umfing mit ungeheurer Beruhigung die Welt. Die Palmenkronen standen wie Filigran im Sternenlicht. Nun aber, mit dem Verblassen aller Geräusche, rührte sich das eigentliche Leben des Gartens. Schreckhaft stiegen da und dort vielfältige Schreie empor, bald in Pausen, bald atemlos wie eine Kette von Hilferufen, kreischend und gedämpft, murrend oder als hohles Geheul. Unzählige Lungen sogen die Nachtluft ein und stießen sie wieder aus, gesättigt von den Lauten befreiter Brunst oder tierischer Trauer über geknebelte Triebe. In Hunderten von Käfigen fieberte es, tappte es rasselnd umher. Der Gibbon steigerte seine Stimme zu einer einzigen Klangkurve, die wie eine Rakete in eine Garbe von bellenden Schluchztönen zerplatzte. Die Makaks in ihrem Drahthausschnatterten fassungslos, und als Hassan herzutrat, sah er ihre Silhouetten wie geschleuderte Bälle durcheinanderwirbeln. Der Gnustier erzeugte an den erbarmungslosen Gitterstäben ein Geräusch, als werde ein Maschinengewehr entladen.
    Er arbeitete stumm und wütend wie ein Dämon der Vernichtung. Er mußte unsagbar leiden.
    Und die

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