Der Schachspieler
ein und drückte die grüne Taste, als das Handy vibrierte.
»Biegen Sie nach links auf die 44 th ab«, befahl Westlow. »Ein bisschen schneller, Agent Cady.«
Cady schlängelte sich durch den Autoverkehr über die Fifth Avenue. In der 44 th Street sah er ein Taxi in zweiter Reihe stehen.
Westlows abschließender Anruf war kurz und knapp.
»Steigen Sie ins Taxi ein.«
Cady begutachtete den Wagen einen Moment lang und hatte Blickkontakt mit dem Fahrer, einem Mann Mitte dreißig aus dem Mittleren Osten, der ihn neugierig musterte. Cady öffnete die hintere Tür und setzte sich auf den Rücksitz.
»Gehört er zu Ihnen?«, fragte der Fahrer, den Blick auf die offene Autotür gerichtet.
»Ja.« Jake Westlow erschien am Straßenrand, legte die rechte Hand an die Wagentür und setzte sich zu Cady auf den Rücksitz. Er nannte dem Fahrer eine Adresse in Manhattan.
»Ist das Tattoo echt?«
Westlow trug spitze Cowboystiefel, Bluejeans und ein weißes Unterhemd. Sein Haar war rot und kurz geschnitten, die linke Augenbraue zierte ein silbernes Barbell-Piercing, und vom rechten Unterarm bis hinauf zum Hals wand sich eine Schlangentätowierung.
»Nein«, antwortete Westlow. »Aber dank Ihnen sehe ich aus wie ein Groupie der Village People.«
Cady hielt die Glock im Schoß, den Lauf auf Westlows Brust gerichtet.
»Das war’s dann, Westlow.«
»Dass Sie die Waffe tragen, habe ich schon von Weitem gesehen. Ich hätte fast gesagt, scheiß drauf, und wär gegangen.«
Die beiden Männer saßen einander zugewandt wie Boxer in ihrer Ecke in Erwartung des Gongs. Keiner sagte etwas. Die Anspannung war mit Händen zu greifen. Cady fühlte sich wie ein trotziges Kind, doch er würde den Teufel tun, das Schweigen zu brechen.
»Also«, sagte Westlow schließlich, »wie geht es Ihnen?«
»Wie’s mir geht? Ich muss mich verdammt beherrschen, Ihnen nicht eine Kugel in die Nieren zu jagen. So geht’s mir.«
»Da gibt es gute Therapieangebote.«
»Lassen Sie den Scheiß, Westlow. Was soll dieses verdammte Versteckspiel?«
Das Lächeln schwand aus Westlows Gesicht.
»Sie haben recht, ich schulde Ihnen eine Erklärung. Sie wissen ja, man kann noch so sorgfältig planen – am Ende muss man doch alles über den Haufen werfen, weil immer irgendwelche unvorhergesehenen Faktoren dazwischenkommen. Vor drei Jahren habe ich Ihnen einiges angetan. Die anderen haben verdient, was sie bekommen haben, aber …«
»Sie haben Dane Schaeffer umgebracht, weil er eine Party veranstaltet hat.«
»Der Schnaps floss in Strömen, es wurden Drogen verteilt und kranke Mörder auf die Leute losgelassen. Dane Schaeffer war so was wie der Katalysator, der das alles möglich gemacht hat. Er musste nicht sterben, weil er eine Party veranstaltet hat, sondern weil er Marly eingeladen hat.«
»Sie sind wahnsinnig.«
»Wegen Dane Schaeffer habe ich kein schlechtes Gewissen, aber bei Ihnen … Sie waren der unvorhergesehene Faktor. Ich habe Ihr Leben ruiniert, Agent Cady. Für mich sind Sie mein einziges echtes Opfer.«
»Darum geht’s hier also?«, lachte Cady laut auf. »Sie wollen sich beweisen, dass Sie ein guter Mensch sind, weil Sie Mitleid mit mir haben?«
»Mit Mitleid hat das nichts zu tun. Als die Medien nach dem Gottlieb-Mord andeuteten, der Chessman sei wieder da, hat mich das natürlich beschäftigt. Und wissen Sie, was ich mir dachte, Agent Cady?«
»Was?«
»Dass Sie und ich eine zweite Chance bekommen.«
»Eine zweite Chance?«
»Ja.«
»Sie können mich mal, Westlow.« Cady wusste nicht, was er sagen sollte, doch die Antwort erschien ihm durchaus angebracht.
Er steckte die Pistole in sein Schulterholster, betrachtete einen Moment lang den Hinterkopf des Fahrers und fragte sich, was der Mann denken mochte, falls er etwas von ihrem Gespräch aufgeschnappt hatte. Cady drehte sich zur Seite und schaute aus dem Wagenfenster.
»Erzählen Sie mir von dem Mädchen, das in Gefahr ist.«
40
D as Taxi raste zu dem Hochhaus, in dem die Hartzells wohnten. Westlow schilderte Cady in groben Zügen, was er wusste.
»Drake Hartzell ist also ein Investmentschwindler, dessen Geschäfte von Chicago aus gelenkt werden – von Duilio Fiorella –, und New York – also Fedele Moretti – lässt Hartzells Wächter beschatten?«
»Morettis Mann Palma hat mir gesagt, sie hätten Zugang zu den Datenbanken der Bahn und des Flughafens. Moretti wird verständigt, sobald bestimmte Leute in New York ankommen. So hat er erfahren, dass Rudy Ciolino in
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