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Der Schakal

Der Schakal

Titel: Der Schakal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Hôtel de Ville übernahmen, in »Place du 18 Juin 1940« umbenannt worden. Der Schakal ließ seinen Blick zu dem nagelneuen Straßenschild an der Hausmauer wandern, und die Erinnerung an etwas, wovon er im vergangenen Monat gelesen hatte, stellte sich wieder ein. Der 18. Juni 1940 war der Tag gewesen, an welchem der einsame, aber stolze Mann im Londoner Exil sich an das Mikrophon begeben hatte, um den Franzosen zu verkünden, daß sie zwar eine Schlacht, nicht aber den Krieg verloren hatten.
    Irgend etwas an diesem für die Pariser der Kriegsgeneration von Erinnerungen erfüllten Platz, mit der gedrungenen Masse der Gare Montparnasse an seiner Südseite, veranlaßte den Schakal stehenzubleiben. Sein Blick umfaßte die weite, asphaltierte Fläche, die jetzt vom Mahlstrom des den Boulevard du Montparnasse entlang dröhnenden und sich mit anderen Strömen aus der rue d'Odessa und der rue de Rennes vereinigenden Verkehrs gekreuzt wurde. Er sah zu den hohen, schmalen Häusern zu beiden Seiten der rue de Rennes zurück, deren Fenster ebenfalls auf den Platz hinausgingen. Langsam umschritt er ihn bis zur Südseite und schaute durch die Gitterstäbe des Geländers in den Innenhof der Gare Montparnasse. Der Hof war erfüllt vom Lärm der Taxis und Privatwagen, die tagtäglich Zehntausende von Pendlern vom Bahnhof abholten oder zu ihm brachten. Länger als ein halbes Jahrhundert hindurch einer der großen Pariser Kopfbahnhöfe, sollte er noch in jenem Winter zu einem stummen Klotz werden, der über den menschlichen und geschichtlichen Ereignissen brütete, die in seinen rauchgeschwärzten Hallen stattgefunden hatten. Der Bahnhof war zum Abbruch vorgesehen.
    Der Schakal drehte dem Geländer den Rücken zu und blickte nach Norden die breite rue de Rennes hinauf. Vor ihm lag die Place du 18 Juin 1940 - der Platz, an welchem, dessen war er ganz sicher, Charles de Gaulle sich am vorgesehenen Tag ein letztes Mal einfinden würde. Was das betraf, stellten die anderen Plätze, die er in der vergangenen Woche aufgesucht hatte, bloße Möglichkeiten dar; dieser dagegen, darüber bestand keinerlei Zweifel, bedeutete eine Gewißheit. In Kürze würde es keine Gare Montparnasse mehr geben; die Arkaden, die auf so vieles hinabgeblickt hatten, würden verschwinden, und der Vorhof, der die Schmach der abziehenden Besatzer und die Befreiung von Paris erlebt hatte, würde einer Cafeteria für Büroangestellte weichen. Aber bevor * Anm. d. Verf.: Die Fassade der alten Gare Montparnasse wurde 1964 abgerissen, um einem Hochhaus Platz zu machen. Das neue Bahnhofsgebäude erhebt sich heute etwa 500 m südwestlich davon.
    das geschah, würde er, der Mann im képi mit den beiden goldenen Sternen, noch einmal hier erscheinen. Indes betrug die Entfernung vom obersten Stockwerk des Eckhauses auf der Westseite der rue de Rennes bis zur Mitte des Vorhofs etwa hundertdreißig Meter… Der Schakal musterte die Stadtlandschaft vor ihm mit geübtem Auge. Beide Eckhäuser der rue de Rennes, die sich dort befanden, wo die Straße in den Platz einmündete, boten ganz offenkundig die günstigsten Möglichkeiten. Die nächsten drei Häuser, weiter die Straße hinauf, offerierten einen engen Schußwinkel in den Vorhof zum Bahnhof und kamen ebenfalls in Frage. Jenseits dieser Häuser wurde der Winkel zu eng. Desgleichen waren die ersten drei Gebäude am Boulevard du Montparnasse, der den Platz in gerader ost-westlicher Richtung kreuzte, geeignet. Hinter ihnen wurde der Winkel wiederum zu eng und die Entfernung zu groß. Sonstige Gebäude, die den Platz beherrschten und nicht zu weit entfernt waren, gab es nicht - es sei denn, das Bahnhofsgebäude selbst. Aber das würde abgesperrt und sein oberes Stockwerk mit den auf den Vorhof hinausgehenden Fenstern von Sicherheitsbeamten besetzt sein. Der Schakal beschloß, als erstes die drei Eckhäuser auf der westlichen Seite der rue de Rennes näher in Augenschein zu nehmen, und schlenderte zu einem auf der Ostseite gelegenen Eckcafe, dem Café Duchesse Anne, hinüber.
    Hier nahm er, nur wenige Meter vom lärmenden Straßenverkehr entfernt, auf der Terrasse Platz, bestellte sich einen Kaffee und starrte zu den Häusern auf der anderen Straßenseite hinüber. Er blieb drei Stunden. Später lunchte er in der gegenüberliegenden Hansi Brasserie Alsacienne und studierte die Häuserfronten der Ostseite. Nach dem Essen schlenderte er auf und ab und machte sich mit den Eingängen der in Frage kommenden Apartmenthäuser vertraut.

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